«Spinnen sind kleine Persönlichkeiten»

Die mit den geringelten Beinen mag Jutta Ansorg am liebsten. Seit über 45 Jahren hat die Freienwilerin eine ­Leidenschaft für Spinnen.
Jutta Ansorg mit dem Buch über Spinnen, an dem wie mitgewirkt hat. (Bild: is)

Jutta Ansorg, haben Sie Angst vor Schlangen?
Nein.

Vor Spinnen anscheinend auch nicht.
Dass ich nicht gleich «Iih!» schreie, wenn ich Spinnen sehe, habe ich wohl meiner Mutter zu verdanken. Sie weckte meine Neugierde für diese Tiere, sagte «Schau mal, was für lustige geringelte Beine die hat» und «Ui, die ist ins Waschbecken gefallen; wohin bringen wir sie jetzt?» Sie ging ganz normal mit Spinnen um.

Ihre Faszination für diese Tiere begann also sehr früh?
Als meine Mutter von den geringelten Beinen sprach, wollte ich natürlich wissen, ob das bei allen Spinnen so war. Ich war etwa neun Jahre alt, als ich im Garten der Grossmutter alle Spinnen, die ich fand, eingefangen habe. Ich inspizierte sie genau und studierte ihre verschiedenen Muster. Dann nahm ich das Lexikon zu Hilfe, verglich die Namen, und so gab eine Frage die nächste und wieder die nächste.  

Welches ist das tollste Exemplar, das Sie je gesehen haben?
Natürlich sind farbige Spinnen sehr beeindruckend, aber das sind meist Exoten. Bei uns muss man in den Mikrokosmos eintauchen, da offenbart sich einem dann die Schönheit im Kleinen. Die Brückenspinne (Larinioides sclopetarius) hat ein fast jugendstilartiges Muster, auch die Streifenkreuzspinne (Mangora acalypha) hat eine wunderschöne Zeichnung. Sehr toll ist zudem die quietschgrüne Kürbisspinne (Araniella cucurbitina) mit ihrem frechen roten Fleck auf dem Popo. Bloss: Die ist so winzig, dass man sie kaum sieht. Die Tiere selbst sind also viel kleiner als die Angst vor ihnen.

Warum ist diese denn so verbreitet?
Ich vermute, das hat einen kulturellen Hintergrund, denn es ist ja vor allem bei uns so. Hier wird die «Schwarze Spinne» oft mit Frauen und dem Teufel in Verbindung gebracht. Biologisch ist das alles unbegründet. Keine Eigenschaften, die man in dieser Überzeichnung den Spinnen zuschreibt, haben diese Tiere wirklich. In anderen Kulturen gelten Spinnen übrigens als Glücksbringer.

Wenn meine Töchter Angst haben vor den Spinnen im Badezimmer, geben wir ihnen immer Namen. Die grosse, die sich über der Tür eingenistet hat, heisst etwa Amalia.
Das ist faszinierend, nicht? Spinnen sind kleine Persönlichkeiten. Wenn ich sie erforsche, halte ich sie zeitweise im Terrarium. Da zeigen sie total unterschiedliche Verhaltens­weisen. Die eine ist extrem lebhaft, die andere hat merkwürdige Ess­manieren, eine weitere ist etwas dusselig. Sie sehen, ich habe manchmal auch die Tendenz, Spinnen zu vermenschlichen (lacht).

In Mauern entdeckt Jutta Ansorg immer wieder neue Objekte der Begierde. (Bild: is)

Was erforschen Sie denn so im Terrarium?
Ich schaue, wie viel Häutungen es bis zum Erwachsenenstadium braucht, oder was die Tiere den ganzen Tag lang so machen. Es gibt wirklich pfiffige Exemplare. Ich habe mal beobachtet, wie Winkelspinnen, die ansonsten nicht an Glasscheiben hochklettern können, sich im Terrarium eine Art Strickleiter gebastelt haben. Daran haben sie sich dann hochgehangelt. Das ist total tricky! Einmal habe ich eine Hauswinkelspinne darauf trainiert, mir aus der Hand zu fressen. Das ist sehr untypisch, denn wenn ein grosser Arm kommt, löst das bei Spinnen in der Regel einen Fluchtreflex aus. Diese aber kombinierte den Arm mit der Erfahrung: Jetzt gibts zu essen! Konditionierung geht also auch bei Spinnen übers Futter.

Was füttern Sie denn Ihren Tieren?
Spinnen fressen ja nur lebendige Beute, eine tote Fliege interessiert sie nicht. Fliegen zu fangen, ohne sie zu töten, ist aber gar nicht so einfach. Ich weiss noch, wie ich früher in den Angelladen ging und diese Maden kaufte, aus denen Schmeissfliegen werden. Das Dumme ist bloss, dass die dann alle gleichzeitig schlüpfen. Mittlerweile habe ich ziemlich viel Übung darin, den Tieren im Terrarium frische Fliegen zu servieren. Es gibt übrigens Spinnen, die das Achtzigfache ihres Körpergewichts vertilgen können – und dann wieder einige Tage hungern.

Haben wir in der Schweiz eigentlich giftige Spinnen?
Es sind ja alle Spinnen giftig – zumindest für ihre Beutetiere. Das Gift ist die Fangmethode der Spinnen. Für den Menschen ist dieses jedoch ungefährlich, es sei denn, jemand reagiert allergisch. Wenn eine Spinne zwickt, erschrecken die Leute oft. «Hilfe, mich hat eine Spinne gebissen», schreien sie dann. Die Ekel- und Angstreaktion ist aber oft der wahre Grund für den Schreck. Sie ist viel stärker als so ein «Zwick». Selbst der Biss von Spinnen, die ein stärker wirkendes Gift haben, wirkt viel schwächer als der Stich einer Biene oder einer Wespe. 

Stimmt es, dass wo Spinnen wohnen, ein gutes Raumklima herrscht?
Obwohl ich keine wissenschaft­liche Untersuchung dazu gemacht habe, würde ich das tatsächlich auch behaupten. In eine Wohnung, die frisch renoviert oder frisch gestrichen ist, kommen Spinnen nicht so schnell. Das soll jetzt umgekehrt aber nicht bedeuten, dass wer Spinnen fürchtet, einfach die Wohnung streichen kann – und weg ist das Problem (schmunzelt). Ich habe den Eindruck, dass es ein gutes Zeichen ist für die Luftqualität eines Raums, wenn Spinnen darin wohnen. 

Warum gibt es eigentlich im Estrich, im Keller und in der Garage am meisten Spinnen. Putzt man in ­diesen Räumen deutlich weniger?
In der Wohnung ist es den meisten Spinnen schlicht viel zu trocken. Sie haben gern Feuchtigkeit und bevorzugen deshalb die Garage oder den Keller. Es gibt aber auch Spinnen, die mit der Trockenheit sehr gut zurechtkommen – die Zitterspinnen, die in den Wohnräumen ganz feine Netze spinnen, beispielsweise. Sie heissen übrigens so, weil sie, wenn sie sich bedroht fühlen, ihr Netz in Schwingung versetzen. 

Stimmt eigentlich die Mär von der Vogelspinne, die in der Bananenschachtel in die Schweiz kommt?
Früher wurden etliche Insekten und Spinnen so eingeführt, heute aber werden die Bananen so behandelt, dass keine Tiere mehr einen solchen Transport überleben. Durch die Globalisierung, zu der auch unsere Reisetätigkeit gehört, werden Spinnen aber viel häufiger und schneller verschleppt als früher. Die Hauswinkelspinne beispielsweise haben wir so nach Amerika exportiert. Die Kräuseljagdspinne wurde hingegen vor nicht langer Zeit hierher geschleppt, und sie scheint sich bei uns sehr wohl zu fühlen. Es gibt aber auch Spinnenarten, die natürlicherweise bei uns einwandern. Die Wespenspinne zum Beispiel war eigentlich eine mediterrane Art, die nun zu uns gefunden hat. So bietet die Welt der Spinnen immer wieder neue Aspekte, die man erforschen kann. 

Gewächshausspinnen

Gewächshausspinnen (Parasteatoda tepidariorum) unter einem Rosenblatt. Links das Weibchen, rechts das Männchen. Dieses bleibt oft einige Tage beim Weibchen, bevor es weiterzieht – manchmal zum nächsten Weibchen. (Bilder: zVg | Jutta Ansorg)

Kreuzspinne

Die Kreuzspinne (Araneus diadematus) ist die vielleicht bekannteste hiesige Spinne, die das typische Radnetz baut. Sie ist eine der grössten Spinnenarten hierzulande und kommt in sehr vielen verschiedenen Farbvarianten vor.

Kugelspinne

Die Kugelspinne (Enoplognatha redimida) kann mit ihren langen Beinen auch grosse Insekten wie Wespen, Bienen und Heuschrecken überwältigen. Sie fängt die Beute mit einem Haubennetz. Ihr Schlupfwinkel ist oft in einem zusammengesponnenen Blatt.

Kürbisspinne

Die sehr kleine, etwa 5 Millimeter grosse, grüne Kürbisspinne (Araniella cucurbitina) hat einen deutlichen roten Fleck auf ihrem Popo. Ihr Radnetz für den Beutefang spannt die Kürbisspinne gern in einem Blatt auf.

Sektorspinne

Das Radnetz der Sektorspinne (Zygiella x-notata) ist nicht kaputt. Sie lässt ganz einfach einen Sektor aus. Der Signalfaden in der Mitte des freien Sektors führt zu ihrem Versteck, von dem aus sie das Geschehen im Netz überwachen kann.

Springspinne

Zwei der acht Augen von Springspinnen sind besonders gross. Die Weibchen der etwa 1 Zentimeter grossen Rindenspringspinne (Marpissa muscosa) haben einen schwarzen Streifen über den vorderen Augen – wie eine «Zorro»-Maske.

Speispinne

Die kleine, nachtaktive Speispinne (Scytodes thoracica) spuckt Klebstoff auf ihre Beute, um sie zu fangen. Ursprünglich kommt sie aus dem Mittelmeerraum und lebt bei uns überwiegend in den Häusern, selten draussen.

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