«Lassen Sie sich hemmungslos einlullen»

Duft und Klang: Geht das überhaupt zusammen? Für den Parfumeur Vincent Micotti und den Pianisten Oliver Schnyder auf jeden Fall.
«Man sollte Bachs Werk so hören, wie man den nächtlichen Sternenhimmel betrachtet»: Pianist Oliver Schnyder. (Bild: zVg | Marco Borggreve)

«Hunderttausend Düfte schienen nichts mehr wert vor diesem einen Duft. Dieser eine war das höhere Prinzip, nach dessen Vorbild sich die anderen ordnen mussten. Er war die reine Schönheit.» In welchem Buch finden sich diese Worte? Der Aargauer Pianist Oliver Schnyder weiss es: in Patrick Süskinds Bestseller «Das Parfum». Wer wie Schnyder seit früher Kindheit ein Duftmensch ist, dessen Sammelwut an Düften schon «pathologische Züge» angenommen hat, kennt natürlich Süskinds Jean-Baptiste Grenouille, der, auf der Suche nach dem Parfum schlechthin, zum Mörder wird. Nun, mörderisch wird es in der Klosterkirche Königsfelden nicht zu- und hergehen. Das Museum Aargau lädt im Rahmen seiner diesjährigen Veranstaltungen unterm Motto «1000 Düfte» zu zwei Duft-und-Klang-Konzerten ein: Der Parfumeur Vincent Micotti ist der eine Regisseur, der andere ist der Pianist Oliver Schnyder. 

«Wir betreten alle Neuland»
Der Musiker wird einen Achttausender der Klavierliteratur spielen – Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen, deren Klänge von Vincent Micotti in Duftkonzerte verwandelt werden. Für den in Basel tätigen Parfumeur ist das eine Herausforderung, deren Reiz noch erhöht wird, weil Micotti ursprünglich Profimusiker, ein Cellist, war. Man hört und riecht also gleichzeitig? Bach-Fans ziehen die Nase kraus: Muss ein Konzert unbedingt beduftet werden? «Genau dies wollen wir herausfinden», sagt Oliver Schnyder: «Ich kann Ihre Frage erst am 12. oder spätestens am 14. August beantworten. Wir betreten alle Neuland. Muss es sein? Natürlich nicht. Aber die Duftkonzerte sind ein Angebot, das sich an offene Ohren und Nasen richtet. Es ist ein Experiment.» 
Demnach ist die Vermischung unterschiedlicher Sinneseindrücke eine neue Idee? «Nein. Die entspricht durchaus einem menschlichen Bedürfnis. Sie aber so aufeinander abgestimmt und kuratiert serviert zu erhalten, das gab es in dieser Form noch nie.»
Noch einmal: Erträgt eine grosse Komposition wie die Goldberg-Variationen einen duftenden «Zusatz»? Lenkt dieser nicht von dem komplexen Werk ab? «Man sollte die Goldberg-Variationen nicht als hochkomplexes Gebilde hören», betont Oliver Schnyder, «sondern eher so, wie man den nächtlichen Sternenhimmel betrachtet.» Das heisst? «Mit Staunen und im Vertrauen darauf, dass sich die entsprechende Schönheit und Naturgewalt durchaus ohne den Umweg über den Intellekt offenbart. Die Komplexität bei Bach ist wie das kosmische Hintergrundflimmern: Interessant zu wissen, dass es da ist, aber unerheblich für unsere Bereitschaft, uns unmittelbar berühren zu lassen. Dasselbe gilt für einen vielschichtigen Duft. Apropos: Beim Joggen fragt Sie niemand, ob die frische Waldluft oder die dröhnenden Stöpsel im Ohr das sportliche Erlebnis ergänzen oder eher von ihm ablenken.» Man solle also unbesorgt sein und sich «hemmungslos einlullen lassen: vom Klang, vom Duft und von der sakralen Atmosphäre.»

«Ich liebe den Duft von kalter Meeresluft»
Wie kann man sich den Ablauf der Konzerte vorstellen? Wird man in Klosterkirche vielleicht gar von einem «Rosenregen» überrascht? Einen solchen wollte einst der grosse Ballett-Impresario Sergei Djagilew für eine Choreografie mit dem Startänzer Vaslav Nijinsky erwirken, doch der Plan zerschlug sich. Oliver Schnyder schliesst nicht aus, dass sich in Vincent Micottis drei auf die Goldberg-Variationen abgestimmten olfaktorischen Kunstwerken auch Rosenduftmoleküle befinden. Der Musiker wird Bachs Zyklus in drei Teilen spielen: «Der Flügel steht in der Mitte des Auditoriums, nach den Variationen 10 und 20 erfolgt, zusammen mit dem neuen Duft, eine Dritteldrehung des Instruments.» Schnyders Neugier auf die Kreation seines Projektpartners wächst von Tag zu Tag, «denn Micotti kann – wie Patrick Süskinds Gre­nouille – jeden erdenklichen Duft extrahieren, der ihn interessiert». Der Pianist weiss, wovon er spricht, ist er doch stolzer Besitzer und Träger zweier von Micottis Parfumkreationen. «Eine davon heisst Silex, in der Micotti den charakteristischen Duft von heissem mineralischem Feuerstein, Tuff und silberner Kreide auf unvergleichliche Art und Weise festhält.» Unwillkürlich schnuppert man und wähnt sich inmitten dieses exquisiten Dufts. So einnehmend dieser sein mag: Gibt es für Oliver Schnyder den schönsten Duft? Die Antwort kommt postwendend: «Ich liebe den Duft von kalter Meeresluft oder denjenigen nach einem Sommergewitter. Sodann holzig-krautige Düfte: Zedern, Sandelholz, Vetiver, Ambra, Moschus. Auch blumige: Jasmin. Maiglöckchen, Rose. Und Pfirsich. Ach, wie könnte ich mich entscheiden?»

Freitag, 12. August, 19.30 Uhr, und
Sonntag, 14. August, 11 Uhr
Klosterkirche Königsfelden