Auf der Suche nach dem verlorenen Pigment

Am 9. September erscheint «Das Farbenbuch». Auf 496 Seiten präsentiert das umfassende Gemeinschaftswerk 367 leuchtende Pigmente.
Der Leuchtkraft der Farben verfallen: Chemiker und Pigmentspezialist Juraj Lipscher und Maler und Farbforscher Stefan Muntwyler in dessen Atelier in Windisch. (Bild: aru)

Die Geschichte von seiner Suche nach dem perfekten Blau erzählt Stefan Muntwyler nicht zum ersten Mal. Und doch hat er Tränen in den Augen. Noch immer berührt ihn die Erinnerung an jenen Moment, wo er die Farbe fand, die bis heute seine Lieblingsfarbe geblieben ist. Bei einem dreimonatigen Atelieraufenthalt in Apulien verliebte sich der Windischer Künstler in die frische, klare Farbe des Himmels über dem Meer. «Ich wollte sie malen und kam mit keiner Mischung und mit keinem Pigment nur annähernd an dieses Blau heran», erzählt er. Das Ganze liess ihm keine Ruhe. Wieder zurück in der Schweiz, berichtete er einem Freund davon. Und dieser kannte des Rätsels Lösung: Manganblau. Muntwyler besorgte sich das Pigment – und malte. «Es war ein einziger Pinselstrich, und er machte mich unendlich glücklich», strahlt er. Seit damals kenne er das Geheimnis des Pigments: «Entweder du hast es – oder du hast es nicht. Wenn du es nicht hast, kannst du die Farbe vergessen. Sie lässt sich nicht ermischen.»

Eine Seite aus dem Farbenbuch: Braune Ocker. (Bild: zvg)

Spezielles Druckverfahren
Von diesem Moment an, so Muntwyler, habe er keine Bilder im klassischen Sinne mehr gemalt, sondern Farben. Seit Jahrzehnten forscht der Künstler mittlerweile in diesem Bereich, sein 2010 erschienenes Standardwerk «Farbpigmente, Farbstoffe, Farbgeschichten» ist längst vergriffen. Der Leidenschaft für die Leuchtkraft der Farbe ist auch Juraj Lipscher verfallen. Seine Passion begann bei einem Projekt, das er mit seinen Schülerinnen und Schülern an der Kantonsschule Baden initiierte – zum Thema Pigmentanalysen. «Seither hat es mich total gepackt», erzählt der pensionierte Chemiker, der inzwischen zum Spezialisten für Pigmente geworden ist.

Muntwyler und Lipscher verbindet über all die Jahre hinweg ein langer gemeinsamer Weg der Farbforschung. Mit zum Team gehört auch Hanspeter Schneider, der als Experte für Druckverfahren für die adäquate Umsetzung der Farben auf Papier sorgt. Fürs neue Werk, das die drei gemeinsam herausgeben, hat er den 18-Farben-Druck entwickelt. In einem aufwendigen Prozess werden dabei die insgesamt 367 Pigmente, die das Buch auf Abbildungen von handgefertigten Farbmustern zeigt, möglichst farbgetreu wiedergegeben. Von diesem Novum sind Stefan Muntwyer und Juraj Lipscher begeistert. Acht Jahre lang haben die drei an diesem Werk gearbeitet. Jetzt liegt «Das Farbenbuch» vor ihnen. «Ein sehr schönes Gefühl», sagt Muntwyler, und Lipscher doppelt nach: «Wir sind überglücklich.»

Materielle Seite der Kunst
Das Werk versammelt nicht nur eine Fülle von Informationen zu Farbstoffen und Pigmenten, sondern stellt diese konkreten Werken aus der Geschichte der Kunst gegenüber. Ein weiteres Kapitel widmet sich den physikalischen und chemischen Verfahren der Pigmentanalyse, den letzten Teil bilden neunzehn Farbgeschichten aus der Feder verschiedener Autorinnen und Autoren.

Dass das Buch eine ebenso grosse Ausstrahlung hat wie die Farben darin, überrascht die drei Forscher. Obwohl es noch gar nicht erhältlich ist, sind bereits über 600 Exemplare verkauft – und das bei einer Auflage von 5000 Exemplaren. «Jeden Tag kommen neue Bestellungen rein», erzählt Juraj Lipscher, und Stefan Muntwyler berichtet vom bevorstehenden Besuch des Schweizer Fernsehens, welches «Das Farbenbuch» in der Sendung Kulturplatz vom 7. September um 22.25 Uhr (SRF1) vorstellen wird.

Wie erklären sich die Farbexperten dieses Publikumsinteresse? «Zum einen ist da die materielle Seite der Kunst, die wir mit diesem Werk würdigen», erklärt Juraj Lipscher. «Zum andern kommen darin unglaublich viele Kompetenzen an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft zusammen.» Und zum Dritten wirke auch die ästhetische Dimension. «Die Farben, die wir zeigen, sind einfach unglaublich schön!» Und Stefan Muntwyler ergänzt: «Es ist diese echte, pure Schönheit, die nur Pigmente haben.»

Hoher Anspruch und langer Atem
Das Glück, das die drei Herausgeber ob ihrem fertigen Werk empfinden, lässt die unzähligen Stunden an harter Arbeit und Tüftelei vergessen, die sie in dieses Buch gesteckt haben. «Wir sind immer wieder über den eigenen Perfektionismus gestolpert», schmunzeln Lipscher und Muntwyler.  Viele Male hätten sie das Konzept über den Haufen geworfen, neu begonnen und trotz allem weitergemacht. «Noch kurz vor Druck zwangen uns die neusten Erkenntnisse der Forschung, ganze Kapitel umzuschreiben», erzählt Juraj Lipscher. Doch jetzt ist es vollendet, das Farbenbuch. Die Forschung hingegen – die geht weiter.