Ein traditionelles Kulturgut pflegen

Viele Jodelklubs entstanden aus Turnvereinen – auch in Untersiggenthal. Dort hat ­Gertrud Sieber aus ­Wettingen Ihresgleichen gefunden.
Trägt Tracht: Gertrud Sieber mit Hündin Pippa. (Bild: cd)

«Jodeln und Singen sind Balsam für die Seele», sagt Gertrud Sieber (63). Ihr Dialekt verrät, aus welcher Ecke der Schweiz sie stammt: «Aus Dottenwil bei Flawil im Kanton St. Gallen, Alttoggenburg», bestätigt sie und streichelt ihrer vierjährigen Hündin Pippa die Ohren. Seit 23 Jahren wohnt Gertrud Sieber mit ihrem Mann auf dem Herterenhof bei Wettingen, wo sie einen Biolandwirtschaftsbetrieb führen. Die gelernte Krankenpflegerin hat ihren Beruf 2013 an den Nagel gehängt. Seither widmet sie sich neben der Arbeit auf dem Hof mit viel Hingabe einem nicht ganz alltäglichen Hobby: dem Jodeln. Sie ist Mitglied im Jodelklub «Edelweiss» aus Untersiggenthal, der dieses Jahr sein 100-Jahr-Jubiläum feiert.

In einer Jodelfamilie geboren
Zum Jodeln kam Sieber ganz selbstverständlich. «Ich bin in eine Jodel­familie hineingeboren worden», erzählt das zweitjüngste von fünf Kindern. Bereits ihre Eltern jodelten, und man habe zu Hause immer gerne und oft gesungen: «Wir sind eine sehr musikalische Familie.» Eine ausgebildete Sängerin sei sie nicht, aber das Singen und Jodeln habe sie von Kindesbeinen an begleitet, und sie habe ein gutes Musikgehör. «Das braucht man zum Jodeln», versichert die Toggenburgerin.

Im Jodelklub Edelweiss Untersig-gen­thal hat Sieber in musikalischer Hinsicht Ihresgleichen gefunden und geht immer donnerstags zur Probe. Dirigentin Fränzi Meyer studiert mit ihrem Chor aus derzeit dreizehn Jodlerinnen und Jodlern die neuen Stücke ein. Wie im klassischen Gesang gibt es im Jodeln Einteilungen je nach Stimmlage. Im Jodelfachjargon wird der Sopran erster Tenor genannt, der zweite Tenor entspricht der Altstimme, und bei den Herren gibt es die erste und zweite Bass-Stimme. Im Jodeln werde die Brust- und die Kopfstimme gebraucht. «Der Wechsel während des Jodelns zwischen diesen beiden Stimmen heisst Kehlkopfschlag, das ist eine Spezialität im Jodeln», erklärt Gertrud Sieber.

Jutz und Jodellieder
Naturjodel sei der Ausdruck für den Jodel ohne Worte, der nur über Silben und oft nicht nach Musiknoten ge­jodelt wird. Es gebe aber auch Naturjodel, der notiert wurde, erklärt Sieber. «Wir üben im Klub Naturjodel nach Noten, den man hier im Aargau übrigens ‹Jutz› nennt», weiss die 63-Jährige.

Im Appenzell, im Toggenburg und in der Innerschweiz gebe es noch viele traditionelle Naturjodel ohne Noten, welche nur nach Gehör weitergegeben werden. Im traditionellen Naturjodelinventar bestehen grosse kantonale und regionale Unterschiede: «Neben Naturjodel gibt es zudem Jodellieder mit Musiknoten und Liedtexten. Meistens sind die Lieder dreistrophig, und immer folgt am Schluss ein Jodel.» Die Bandbreite des Jodelkanons ist dabei gross: von besinnlich bis humorvoll. Die Lieder müssen alle auswendig vorgetragen werden, man hat bei Auftritten keine Notenblätter vor sich. «Das Auswendiglernen fällt mir meistens leicht», berichtet die Sängerin.

Berührender Gesang
Beim Jodeln geht es Gertrud Sieber auch darum, ein traditionelles Kulturgut und eine besondere Gesangsform zu erhalten und weiterzugeben. Der Jodelchor tritt an Geburtstagen und traditionellen Jodlerfesten, an Jubiläen, Einweihungsfeiern und Taufen auf. «Auch tragen wir oft eine Jodlermesse mit religiösem Text vor», erzählt Sieber. Es komme vor, dass Leute nach Auftritten sagen, wie berührend es sei, den Jodelchor zu hören.

Auch die Tracht, die beim Jodeln getragen wird, gehört zur Tradition, der sich Gertrud Sieber verbunden fühlt. Es ist üblich, dass man der Tracht aus der Herkunftsregion ein Leben lang beim Jodeln treu bleibt. «Meine Toggenburger Tracht ist eine Werktagstracht, also eine einfache Tracht», erklärt Sieber. Dazu werden weisse Kniestrümpfe und schwarze Lederschuhe getragen. Ausserdem gehöre ein Fischu, ein zart gehäkeltes Schultertuch, dazu. «Nicht alle Trachten haben das», so die Jodlerin.

Jubiläum mit Kostproben
Im November dieses Jahres feiert der Jodelklub Edelweiss sein 100-jähriges Bestehen. Das Rahmenprogramm sieht auch eine kuratierte Sonderausstellung im Ortsmuseum Untersiggenthal vor. Natürlich wird an diesem Anlass auch gejodelt. Im November findet ein Jubiläumskonzert in der Aula in Untersiggenthal statt. Dazu lädt die passionierte Sängerin alle herzlich ein: «Wir freuen uns auf Interessierte und Musikfreunde!»

Vernissage
Mittwoch, 28. September, 19 Uhr
Kirchweg 4, Untersiggenthal
ortsmuseum-untersiggenthal.ch