Die Zuhörerin

Palliativmedizinerin Annett Ehrentraut sagt: «Sich für die Lebensgeschichten, die Wünsche und Träume der Menschen zu interessieren und gut zuhören zu können, ist die Grundlage meines Berufs.»
Annett Ehrentraut, Leitende Ärztin Palliativmedizin und Innere Medizin am Kantonsspital Baden: «Es ist wichtig, sich vorzustellen und ­festzuhalten, wie man am Lebensende betreut werden möchte». (Bild: cf)

«Oh Gott, ist es schon so weit?» Eine Frage, die Annett Ehrentraut und ihr Team oft hören, wenn jemand durch die Schiebetür kommt, welche die Palliativstation von der allgemeinmedizinischen Bettenstation im 12. Stock des Kantonsspitals Baden (KSB) trennt. «Dabei gehen zwei Drittel der Patientinnen und Patienten nach ihrem Aufenthalt auf der Palliativstation wieder nach Hause, ins Pflegeheim oder ins Hospiz», präzisiert Annett Ehrentraut. «Auch gehören wir innerhalb des Spitals zu jenen Stationen mit dem jüngsten Durchschnittsalter der Patienten und Patientinnen», betont die Leitende Ärztin Palliativmedizin und Innere Medizin. Schliesslich widerlegt sie das Vorurteil, auf der Palliativstation herrsche Dauertristesse, mit einem perlenden Lachen und findet: «Sowohl im Team als auch zusammen mit den Patientinnen, Patienten und deren Angehörigen erleben wir viele lustige Situationen.»

Lebenswert bis zuletzt
Natürlich trifft es Betroffene zutiefst, wenn sie durch eine Diagnose mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert werden. Da ist Hadern. Da ist Angst. «Dann zeigen wir die Entwicklung der Krankheit und deren Behandlungsmöglichkeiten so auf, dass sie ihr Schicksal annehmen können», erklärt Annett Ehrentraut und ergänzt: «Danach sind die meisten Patientinnen, Patienten und ihr Umfeld nicht mehr derart gefangen in der Wut. In vielen Fällen kommt sogar wieder Freude auf.» So verwundert es nicht, dass auf der Palliativstation des KSB geheiratet wird oder Candle-Light-Dinners stattfinden.

Geschichten, Wünsche, Träume
Annett Ehrentraut stammt aus Ostdeutschland und lebt seit 2003 in der Schweiz. Während ihres Medizinstudiums führten sie Praktika in die Ostschweiz. 2011 kam sie als Leitende Ärztin nach Davos, um am dortigen Spital zusammen mit einer Kollegin die Palliativmedizin aufzubauen. Ursprünglich angetreten, um Menschen von ihren Krankheiten zu heilen, wandelte sich in den Davoser Jahren ihr Standpunkt. «Einerseits musste ich mich durch diese Arbeit und die Zusatzausbildung in Palliative Care mit meinem eigenen Sterben und dem Tod auseinandersetzen.» Andererseits spürte sie, wie sehr es ihr liegt, sich auf unabwendbare Schicksale der Patientinnen und Patienten einzulassen. Die 47-Jährige, die bereits vor dem Abstecher nach Davos in Baden tätig war, leitet seit 2017 am KSB die Palliativstation. Deren zentrale Aufgabe ist es, die Symptome der Patientinnen und Patienten zu stabilisieren, Schmerzen erträglich zu machen und nicht zuletzt, die Angehörigen zu entlasten. Angehörige spielen in der Begleitung von Menschen im letzten Lebensabschnitt eine grosse Rolle. Sie pflegen, umsorgen und stützen die unheilbar Erkrankten. Annett Ehrentraut: «Einen geliebten Menschen leiden zu sehen, ist oft schlimmer, als selber betroffen zu sein.»

Die politische Ebene
Über ihr Wirken am KSB hinaus hat sich Annett Ehrentraut bis vor Kurzem als Co-Präsidentin von «Palliative Aargau» eingesetzt. «Aus meiner Sicht gewinnen die Themen rund ums Sterben und den Tod in der Gesellschaft an Präsenz und Stellenwert. Die Menschen besuchen Letzte-Hilfe-Kurse, informieren sich über die Fachliteratur oder schauen auf Youtube, was passiert, wenn ein Mensch stirbt.» Trotzdem braucht es nach wie vor viel Einsatz, um die Thematik so zu verankern, «dass der Tod zum normalen Leben dazugehört». «Ich wünsche mir vor allem von politischer Seite ein stärkeres Bekenntnis. Etwa mehr Wertschätzung für die unzähligen Freiwilligen in der Palliative Care, die auch ein wichtiger Teil des Teams auf der Palliativstation des KSB sind. Oder finanzielle Unterstützung, um beispielsweise eine mobile Pallative Care aufbauen zu können.» Auch fallen Palliative-Care-Patienten und -Patientinnen, die nicht im Pensionsalter sind, durch alle Raster. Die Fachfrau: «Für sie gibt es keine gesetzliche Reglung. Sie haben kein Anrecht auf Ergänzungsleistungen. Darum braucht es in solchen Fällen eine intensive Zusammenarbeit mit der Wohngemeinde, um Lösungen zu finden.»

Donnerstag, 24. November, 18.30 bis 21 Uhr
Personalrestaurant Kantonsspital Baden
Eintritt kostenlos
Keine Anmeldung nötig
palliative-aargau.ch