Genau ihr Ding

Tagesfamilie sein: Ein gesellschaftlich ­relevantes ­Engagement, für das auch ­Seniorinnen und Senioren infrage ­kommen. Die 67-jährige Ingrid Meier ­erzählt von ihren Erfahrungen.
Für den von ihr betreuten fünfjährigen Milo hat die 67-jährige Tagesmutter Ingrid Meier im Wohnzimmer eine Spielecke eingerichtet, bestückt aus der Ludothek. (Bild: cf)

Ingrid Meier arbeitet eineinhalb Tage pro Woche als kaufmännische Angestellte eines Betriebs in der Elektronikbranche. Ihre Freizeit verbringt sie bevorzugt bei Aktivitäten an der frischen Luft, trifft sich gerne mit Freundinnen und Bekannten, ist da für ihre zwei mittlerweile erwachsenen Kinder. Beim Eintritt ins Pensionsalter zieht sie Bilanz und stellt fest: «Ich bin körperlich und geistig fit, nicht so der Vereinstyp und habe viel freie Zeit.» Als sie via Newsletter ihrer Wohngemeinde auf «Die Tagesfamilie» (dietagesfamilie.ch) aufmerksam wird und erfährt, dass sich auch Seniorinnen und Senioren als Tageseltern engagieren können, spürt Ingrid Meier: «Das ist mein Ding.»

Mit Blick auf die eigene Erfahrung
«Ich war alleinerziehend und damals auf familienexterne Betreuungsangebote angewiesen.  Meine Kinder fanden die Kita-Lösung nicht schön, aber es ging nicht anders», erinnert sich Ingrid Meier. Auch dies ein Grund, warum sie sich schliesslich bei der «Tagesfamilie» meldete und deren sorgfältige Abklärung durchlief. «Es gab ziemlich viel Papier zum Durchlesen und Unterschreiben. Dabei fühlte ich mich vonseiten der ‹Tagesfamilie› gut begleitet und unterstützt.» Der Verein «Die Tagesfamilie» mit Sitz in Dättwil setzt sich seit über dreissig Jahren für eine professionelle familienergänzende Kinderbetreuung ein. Mit rund 700 betreuten Kindern in acht Aargauer Bezirken gehört er zu einem der grössten Tagesfamilienvereine in der Deutschschweiz. Er regelt die rechtlichen und finanziellen Belange zwischen Eltern und Tagesfamilien, entlöhnt und versichert die Tagesfamilien und ist nicht zuletzt darauf bedacht, dass diese mit dem Grundkurs gut in ihre Aufgabe eingeführt werden und ihr Wissen durch Weiterbildung sowie Fachaustausch aktuell bleibt. «Sie machen alles sehr seriös», betont Ingrid Meier.

Sanfter Einstieg
Ingrid Meier konnte bei ihrer Bewerbung als Tagesmutter angeben, wie viele Kinder in welchem Alter sie an welchen Tagen betreuen möchte. Ihr Wunschprogramm: nach Möglichkeit ein Kind ab Kindergartenalter. «Eher ein Kind auch deshalb, weil meine Wohnung nicht sonderlich gross ist und ich hier alles so angenehm wie möglich gestalten wollte.» Die Wahl fiel schliesslich auf den fünfjährigen Milo*, der zusammen mit seinen Eltern ebenfalls in Mellingen wohnt. Die Eltern, Milo und sein «Tagesmami» gingen die Sache sachte an. «Die ersten paar Mal brachte ihn sein Mami für eine Stunde vorbei, wenn sie einkaufen ging. Irgendwann blieb er für einen halben Tag. Jetzt ist Milo drei halbe Tage bei mir.» Jeweils am Dienstag, Donnerstag und Freitag holt Ingrid Meier den Buben um 11.30 Uhr vom Kindergarten ab. Dann gibt es Zmittag. «Er mag vor allem ‹Grosi-Menüs› wie Ghackets mit Hörnli, Fischstäbli mit Spinat oder Wienerli mit Bohnen.» Manchmal kommt es vor, dass den beiden nach Take-away ist. «Dann holen wir etwas vom Thai-Stand oder einen Dürüm, setzen uns auf ein Bänkli an der Reuss und picknicken.» Wann immer möglich, ist das Duo draussen unterwegs. «Drinnen kann sich Milo sehr gut selber beschäftigen.» Will er nicht mehr spielen, wird in einem Büechli gestöbert, gemalt, gebastelt, gebacken. «Er lässt sich für alles begeistern», ist Ingrid Meier selbst spürbar begeistert. «Fernsehen und Computer gibt es kaum. Nur wenn sich der Papi abends einmal verspätet, schauen wir uns einen Film an. Zum Beispiel über Delfine, weil sie dieses Thema grad im Kindergarten durchnehmen.»

Horizonterweiternd
Mindestens für ein Jahr müssen sich Tagesfamilien verpflichten. Ingrid Meier denkt längerfristig. «Mit Milo und seinen Eltern war es von Anfang an unkompliziert. Wohl nicht zuletzt, weil wir alles gut besprechen, damit es nicht zu Missverständnissen kommt.» Gründe, nicht länger Tagesmutter zu sein, wären für Ingrid Meier gesundheitliche Einschränkungen oder die zeitliche Verfügbarkeit, sollte sie in der Betreuung eigener Enkel gefragt sein. Noch aber entspricht ihr das Dasein als Tagesmutter voll und ganz. «Mit so einem Kind ist es natürlich easy», freut sie sich und schätzt besonders, dass ihr Milo den Blick in die Kinderwelt eröffnet: «Durch ihn habe ich mich schon öfters gefragt, warum ich in gewissen Situationen eigentlich so festgefahren bin, obwohl es auch anders ginge. Ja, ich profitiere viel von dieser sinnstiftenden Aufgabe.»

* Name der Redaktion bekannt