Der Lernprozess ist nie vorbei

Seit 1962 möchte die VHS eine starke Stimme in der ­Bildungspolitik sein. Ihr Ziel: ein Ausbildungsangebot für alle Erwachsenen.
Gesellige Stimmung am Tisch von Philippe Rey (l.) und Markus Dieth. (Bild: zvg)

Im Jahr 1962 gründeten fünf Wettinger Lehrer die erste Volkshochschule im Dorf. Es war nach Zofingen die zweite im Aargau. Ihr erklärtes Ziel: Mit Bildung für alle Klassengegensätze zu überwinden und damit eine friedlichere Welt und mehr gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Die Idee blieb, die Kurse haben sich den ständig veränderten Bedürfnissen angepasst. «Im Rückblick können wir 2022 feststellen: Wir haben die Queen überlebt, Winston Churchill und die Beatles, den Kalten Krieg, Picasso, die Disco-Ära, den Börsencrash, das Waldsterben … und wir werden auch den Lehrplan 21, die Affenpocken und die Energiekrise überleben», schreibt VHS-Vorstandsmitglied und Gemeinderat Philippe Rey in seiner Jubi­läumsschrift «60 Jahre sind kein Alter».

An der Jubiläumsfeier in der Mensa der Kantonsschule Wettingen sagte Regierungsrat Markus Dieth: «Seit 1962 hält diese wichtige Institution die Wettingerinnen und Wettinger geistig und körperlich in Schwung. Das sieht man den Menschen in der der Gemeinde an. Wettingen präsentiert sich als Gemeinde, in der die Leute viel zusammen bewegen.»

Ganz ohne Gegenwind geht es nicht. Pius Knüsel, Präsident des Verbands für Schweizer Volkshochschulen, äusserte sich am Festanlass auch kritisch: «Unser Partner, das Staats­sekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, stärkt systematisch das Feld, das sich seit jeher in den Händen staatlicher oder von der Wirtschaft getragener Anbieter befindet. Da haben die Volkshochschulen wenig zu bestellen.» Dadurch gerieten die Institutionen in eine Zwickmühle, auch im Aargau. «Der Kanton will die Unterstützung für die VHS kürzen oder ganz streichen, weil sie dem ökonomischen Imperativ nicht genügen», so Knüsel. Er wünscht sich, dass die Institution, der er vorsteht, eine starke Stimme wird im bildungspolitischen Kampf.

Die VHS Wettingen mit Philippe Rey, Esther Seger und Denise Zum­steg im Vorstand basiert heute vor allem auf Freiwilligenengagement. Das Kursangebot hat sich über die Jahrzehnte stark gewandelt und an neue Bedürfnisse angepasst. «Bei der Gründung war EDV noch kein Thema», erzählt Rey. Mittlerweile gehören Computerkurse – vor allem für Einsteiger – natürlich fest ins Programm. Seit Anbeginn beliebt sind Kurse wie «Rücken fit» oder «Conversation Française». «Wir überlegen uns auch, ob wir chinesische und ukrainische Konversationskurse ins Programm aufnehmen sollen», sagt Rey.

Grosse Konkurrenz
Ein Diplom gibt es nicht. Die Lektionen dienen vor allem der Horizonterweiterung. Trotz mittlerweile grosser Konkurrenz von Migros-Klubschulen, KV Baden und Co. hat die VHS Wettingen noch immer rund achtzig Kurse auf dem Jahresprogramm, die es sonst nirgends gibt. Eines der spannenden Referate dreht sich um einen Musiklehrer, der Europa zu Fuss durchquerte und die historischen Wurzeln von Militärmärschen studierte. Ein sehr spezielles Thema, das es nur in der VHS Wettingen gibt.

Die Referenten waren sich am Jubiläumsevent einig: «Die Volkshochschule Wettingen muss unbedingt weiterexistieren mit ihrem Bildungsangebot. Der Lernprozess eines Menschen ist nie vorbei. Auch nach seiner beruflichen Karriere nicht. Gerade dann gilt es, sich geistig fit zu halten und neue Interessen zu entwickeln, um die Lebensfreude zu erhalten.»