Als der Verein Militär- und Festungsmuseum Full-Reuental vor sechs Jahren den ausgedienten und zuvor hochgeheimen unterirdischen Kommandoposten der ehemaligen Grenzbrigade 5 beim Weiler Wallbach zwischen Schinznach und Villnachern übernahm und ihn nach sorgfältiger Restauration der Öffentlichkeit zugänglich machte, überraschte ein «unmilitärisches» Objekt die zivilen Besucher: Sie stiessen im früheren Essraum auf das Wandbild «Adam und Eva im Aargau» des Freiämter Grafikers und Malers René Villiger.
Ziviles Motiv im Bunker
Das Sujet stellt ein junges Paar bei der Kartoffelernte dar. Der Mann hält einen Karst mit zwei Zinken in Händen – so wurden früher Kartoffeln ausgegraben. Die Frau legt «Härdöpfel» in einen fast vollen Korb. Beide scheinen bei der Arbeit zufrieden zu sein. Sie sind niemandem etwas schuldig; ihre Gesichter drücken das Selbstbewusstsein freier Menschen aus. Aber was soll dieses idyllische Motiv in einer Militäranlage – und noch dazu in der einst wichtigen Kommandozentrale, wo klare Aufgabenzuordnungen, straffe Befehlsstrukturen und eine spartanische Einrichtung ohne einen Hauch von Luxus herrschten? Und wer war der Auftraggeber? Darüber gibt es noch keine Gewissheit, aber eine Ahnung.
Das künstlerische Werk ist zwischen 1966 und 1971 entstanden, als Brigadier Hans Hemmeler, Vorsteher der Aargauischen Industrie- und Handelskammer, als Milizoffizier die Grenzbrigade 5 kommandierte. Hemmeler war durch und durch Aargauer, er kannte Land und Leute und gewiss auch den Freiämter Maler René Villiger aus Sins. Dieser, ein ehrbarer Sanitätssoldat und Patriot, zeigte keine Berührungsängste gegenüber dem Militär, was ihn in Kultur- und Künstlerkreisen zwar verdächtig machte, aber nicht anfocht. Er hatte als Grafiker schon 1959 Dutzende Zeichnungen zu dem jedem Armeeangehörigen ausgehändigten Soldatenbuch – eine Mischung aus Staatskundebrevier und Fibel für den Abwehrkampf – beigesteuert.
Besondere Ausstellung
Jetzt werden der Öffentlichkeit das Wandbild und sechzehn weitere Werke Villigers in der ehemaligen Kommandofestung gezeigt. Was der Künstler leistete, was ihn charakterisierte und wie es zur Ausstellung an diesem aussergewöhnlichen Ort kam, erklärte die Windischer Historikerin Barbara Stüssi-Lauterburg am letzten Samstag an der Vernissage – die exakt an Villigers zwölftem Todestag stattfand. Anwesend waren auch Sohn und Tochter des Künstlers, Beat und Irene Villiger, sowie Regierungsrat und Militärdirektor Jean-Pierre Gallati, der ehemalige Regierungs- und Ständerat Thomas Pfisterer, Brigadier aD Peter Wolf, letzter Kommandant der 1994 aufgelösten Grenzbrigade 5, und Divisionär Daniel Keller, derzeitiger Kommandant der Territorialdivision 2.
Eigentlich war 2020 eine Villiger-Gedenkausstellung geplant. Dazu wurde ein Trägerverein unter Barbara Stüssis Leitung gegründet. Aber aargauische Kulturstätten zeigten kein Interesse oder zogen sich wieder zurück. «Wer im Auftrag der Regierung und erst noch für die Militärverwaltung arbeitet, ist offenbar verdächtig», meinte Barbara Stüssi-Lauterburg. So blieb es bei einer kleinen Würdigung Villigers im Foyer des Grossratsgebäudes. Doch mit der «Wiederentdeckung» des Wandbildes von der Kartoffelernte kam die Idee für eine Ausstellung im einstigen KP auf und dank der unkomplizierten Unterstützung des Militär- und Festungsmuseums unter der Leitung von Thomas Hug auch rasch zustande.
René Villiger beherrschte den leichthändigen feinen Strich und verfügte über die Gabe, komplexe Dinge einfach und verständlich darzustellen. 1931 in einer Drucker- und Verlegerfamilie geboren, betrieb er nach der Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Luzern und Auslandsaufenthalten ein eigenes Grafik- und Werbebüro in Sins. In Auftragsarbeit schuf er unter anderem Illustrationen zu Gebrauchstexten sowie zu Sach-, Schul- und Kinderbüchern wie Hannes Schmids «Wo die Sterne schlafen» und Max Bolligers «Alois», das an der Leipziger Buchmesse preisgekrönt wurde. Er gestaltete zur Jahrtausendwende auch das Millenium-Los, das ihn mit einer Auflage von 600 000 Stück in der ganzen Schweiz bekannt machte. Die Gemeinde Sins verlieh ihm 2005 das Ehrenbürgerrecht; er starb 2010.
Erinnerungsträchtige Symbole
Menschen hatten in Villigers Leben und Werken eine zentrale Bedeutung. Das kommt auch im Wandbild «Adam und Eva im Aargau» zum Ausdruck. Zudem könnte die «Kartoffelernte» an die «Anbauschlacht» im Zweiten Weltkrieg erinnern. Dies wäre auch ein Bezug zum Brigade-KP, der im Zweiten Weltkrieg in den Sandsteinfels bei Wallbach geschlagen und zur Zeit des Kalten Krieges ausgebaut wurde. Die Besucher der Kunstausstellung können gleichzeitig ein Auge voll von dieser ausgedehnten militärischen Anlage nehmen. Ihre Bedeutung erläuterte der Historiker und ehemalige Generalstabsoffizier Jürg Stüssi-Lauterburg den Vernissagebesuchern auf eindrückliche Weise anhand von Schweiz-Zitaten sowjetischer Politiker und Generäle, Angriffsplänen in Originalfassung und einer Aargauer Karte in kyrillischer Schrift, die gewiss nicht Touristen, sondern den Armeen Stalins & Co. den Weg in unsere Gegend weisen sollen.
Samstag, 29. Oktober, sowie
19. und 25. November, 10 bis 11.30 Uhr
Führungen auf Anfrage
Kommandoposten, Wallbach
festungsmuseum.ch