Mit Pferden Sicherheit gewinnen

Reittherapie stärkt das Selbstvertrauen. Bei der Bözbergerin Petra Schneider und ihren Ponys fassen Kinder mit Lernschwächen wieder neuen Mut.
Petra Schneider mit ihren Isländern Cheeky, Breki und Olli. (Bild: zVg)

Der Hof in Oberbözberg, auf dem Petra Schneider ihre drei Pferde hält, liegt eingebettet in die Landschaft des Aargauer Juras. Ringsum breiten sich weitläufige Buchenwälder und sanfte Wiesen aus. Eine ideale Umgebung für die Arbeit als Reittherapeutin, welche Schneider seit zweieinhalb Jahren ausübt. Sie hat sich damit einen beruflichen Traum erfüllt.

«Es war ein langer Weg bis hierhin», erzählt die Pferdefreundin. «Ich musste zunächst noch viel lernen. Erst dadurch kann ich heute verschiedene Perspektiven mir und anderen gegenüber einnehmen und mich in Situationen einfühlen.» Ursprünglich lernte Petra Schneider Coiffeuse. «Ich merkte schon während der Lehre, dass das nichts für mich ist», erzählt die 41-Jährige. Nach der Ausbildung zog es sie zunächst in einen Sprachaufenthalt nach England. Beim Swissair-Bodenpersonal machte sie ihre ersten beruflichen Erfahrungen. Nach dem Grounding wechselte Schneider in die Sachbearbeitung einer Werttransportfirma, absolvierte parallel in der Abendschule die KV-Lehre und erklomm bei der Rotho Kunststoff AG die Karrierestufen bis hin zur Führungsposition. In ihren insgesamt siebzehn Jahren im Projektmanagement und bei der Betreuung von diversen Grosskunden wurde ihr bewusst, dass Kommunikation und der Umgang mit Menschen ihre Stärken sind.

Pferde sorgen für Vertrauen
Im Privat- und Freundeskreis hatte die zweifache Mutter, die schon als Kind eine begeisterte Reiterin war, beobachtet, wie gut es Kindern tut, mit Pferden zusammen zu sein. Sie erlebte, wie diese ihre Ängste ablegen und Vertrauen gewinnen konnten. Petra Schneider betont, wie wichtig gerade ihre eigenen Kinder für ihren beruf­lichen Werdegang und ihre ersten Erfahrungen als Reittherapeutin gewesen seien. «Ich musste vieles zuerst bei meinen Kindern sehen und miterleben, welche schulischen Schwierigkeiten sie manchmal haben, aber auch, wie das für die Eltern und das Familienumfeld ist.» Durch ihre Tochter wurde Schneider auf Dyskalkulie aufmerksam und begann, sich intensiv damit zu beschäftigen, wie Kindern mit einer Rechenschwäche geholfen werden kann. Das Interesse für die Reittherapie war geweckt. Schneider fand ein entsprechendes Ausbildungskonzept, das ihr zusagte und sie überzeugte. «Beim ‹Lernen mit Pferden› geht es darum, Kindern mit Lernschwierigkeiten, Dyskalkulie oder Legasthenie gezielt zu helfen», erklärt sie. Durch wissenschaftlich fundierte Übungen wird spielerisch und ohne Leistungsdruck die Konzentration der Kinder gefördert, und es werden neue Vernetzungen im Gehirn geschaffen. Die Ausbildung zur Reittherapeutin war der nächste logische Schritt auf Schneiders beruflichem Weg in die heutige Selbständigkeit. In der Reittherapie, die sie in ihrem Unternehmen «Lernponys» anbietet, werden mit dem Pferd als Verbündetem Ängste abgebaut, wird das Selbstbewusstsein gestärkt und die Entwicklung der Fein- und Grobmotorik gefördert. «Beim Reiten allein werden durch die Bewegungen des Pferdes alle Sinne angeregt; die Balance und auch das Gehirn profitieren davon. Das sichere Gefühl, von einem grossen, starken Tier getragen zu werden, und der Perspektivenwechsel vom Pferderücken herunter, tut Kindern wie Erwachsenen gut», erzählt sie und unterstreicht den wichtigsten Aspekt in ihrer Arbeit mit Pferd und Mensch: «Pferde werten nicht.» Hier können die Kinder einfach sein, spüren keinen Druck, müssen keine Leistung zeigen. «Die Kinder freuen sich immer auf die Pferde. Dass sie nebenbei noch Rechenspiele machen, rückt völlig in den Hintergrund», strahlt die Lerntherapeutin.

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Den Rechenknorz auflösen
Die meisten Kinder kommen wegen des Rechnens zu ihr und ihren Isländern Olli, Breki und Cheeky. «Ich beobachte, dass oft zu spät reagiert wird, wenn ein Kind Mühe mit den Zahlen hat», stellt Schneider fest. Es werde zu lange gewartet, weil Lehrpersonen und Eltern davon ausgehen, dass das Kind dann im zweiten oder dritten Schuljahr schon noch den «Chnopf uftuet», sagt die Fachfrau. Dass einigen ABC-Schützen jedoch ein grundlegendes Zahlenverständnis und Basiswissen fehle, falle oft nicht auf. Auf jedes Kind, das zu ihr kommt, geht Petra Schneider individuell ein. Sie berät auch die Eltern, bezieht sie mit ein und tauscht sich mit ihnen aus. «Oft hilft es, wenn nicht mehr, sondern weniger gelernt wird – aber richtig», betont Schneider.

Auch Erwachsene und Familien profitieren von der wertungsfreien Atmosphäre, die Pferde schaffen. Das individuell zugeschnittene Coaching unterstützt Personen darin, Ängste und Unsicherheiten zu bewältigen, Potenziale zu entdecken, Altes loszulassen und neue Wege zu gehen. «In den Einzelstunden steht das Sich-Wohlfühlen im Mittelpunkt. Die Zeit hier auf dem Hof und bei den Pferden soll eine Oase im hektischen Alltag sein», sagt Schneider. «Sich ganz bewusst eine Auszeit nehmen zu können, wünschen sich viele», weiss die erfahrene Reiterin.

«Man kann so viel machen»
Der Schritt in die berufliche Selbständigkeit sei ein Wagnis gewesen, habe Mut und Durchhaltewillen gebraucht, gibt Schneider zu. «Doch ich merkte, ich brauche etwas Eigenes, das genau so ist, wie ich es mir vorstelle.» Es sei ihr Luxus, dass sie ihr Hobby und ihren Mädchentraum ausleben und beruflich das machen kann, was sie erfülle. «Man kann so viel machen und den Kindern helfen, mit einem kleinen Schlüssel grosse Türen aufzuschliessen.»