Zum Start ihrer Pensionierung Ende 2019 machte Brigitte Däpp gemeinsam mit ihrem Mann eine grosse Reise. Die Psychotherapeutin, die zuvor in einer Praxis tätig war, wollte bewusst für eine Zäsur sorgen. Danach kam mit Corona «eine Zeit, in der man auf einmal zur Hochrisikogruppe gehörte und nichts unternehmen konnte, aber auch nichts unternehmen musste», wie sie erzählt. Der Turnaround gelang der 67-Jährigen mit neuen Anfragen und Aufgaben. «Und dann bin ich auch noch Grossmutter geworden», strahlt die Pensionierte.
Auch Linda Baldinger stellte beim Übertritt in die Pension 2018 «von hundert auf null» um. Frisch pensioniert, sei sie am Morgen erwacht «wie ein Maulwurf, der vorher zugedeckt war mit ganz vielen Dingen und nun aus der Erde schaut und sich fragt: Was gibt es Neues zu entdecken? Was interessiert mich noch alles?». Sie habe sich vor allem nach Vielfalt gesehnt. «Der Übertritt ins Pensioniertenalter liess mich den Blick wieder öffnen», sagt die 69-Jährige, die zuvor als Leiterin des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) tätig war. Gleichzeitig gibt sie zu, dass auch ihr zuerst das Team und die klare Tagesstruktur gefehlt hätten.
Konstruktive Auseinandersetzung
Ihre eigene Erfahrung und die ihrer Freunde und Bekannten haben Däpp und Baldinger, beide Vorstandsmitglieder des Seniorenrats Brugg, zum Anlass genommen, die Veranstaltungsreihe «Wohlbefinden im Alter» ins Leben zu rufen. Mit einer Folge von vier Anlässen, die über ein Jahr verteilt stattfinden, wollen sie für Inspiration und Austausch sorgen. «Viele Menschen sind vorsichtig, sich bezüglich ihrer Ängste und Schwierigkeiten im Alter zu outen», sagt Linda Baldinger. «Mit den Veranstaltungen wollen wir ein offenes Klima schaffen, bei dem sich die Teilnehmenden mit Wertschätzung begegnen.» Oft lese man in den Medien, dass gerade Einsamkeit, Depression und Armut im Alter ein grosses Thema sein können, ergänzt Brigitte Däpp. Es sei wichtig, über solche Tabuthemen zu sprechen. «Dafür wollen wir ein Klima des Vertrauens schaffen.» Den beiden Frauen ist die enge Zusammenarbeit mit der von Renate Trösch geleiteten Koordinationsstelle Alter wichtig, da diese ganz praktisch und niederschwellig Unterstützung anbietet.
Sinnstiftendes Engagement
Dass sie sich auch im Pensioniertenalter weiterhin für Projekte engagieren, ist für Brigitte Däpp und Linda Baldinger wesentlich. Sie sei immer schon auf drei Beinen gestanden: dem privaten, dem beruflichen und dem gesellschaftlichen, sagt Däpp. «Man kann nicht losgelöst von der Gesellschaft leben, und ein Engagement für die Gemeinschaft gibt dem Leben viel Sinn.» So habe sie sich stets ehrenamtlich für Organisationen und Projekte eingesetzt und im Seniorenrat einen neuen Ort gefunden, um sich einzubringen und mitzuwirken. Auch Linda Baldinger ist ihr Engagement für die grosse Organisation, die rund 500 Mitglieder zählt, wichtig.
Die beiden Vorstandsfrauen fanden, dass es zwar viele Einzelveranstaltungen gäbe, gerade im Bereich Sport und Bewegung, aber eine Reihe mit einem roten Faden fehle. Diesen wollen sie mit ihrem neuen, für alle zugänglichen Projekt schaffen. Nach der ersten Veranstaltung, die Film und Referat zum Thema «Erste Zeit nach der Pensionierung» kombiniert, soll eine weitere zur «Versöhnung mit schwierigen Lebenssituationen» folgen, danach stehen «Gute Lebensqualität trotz Einschränkungen» und «Was braucht es für ein zufriedenes Leben?» im Fokus.