Die letzte Ruhe für ein Kunstwerk

Das Werk «Und ich kratze mit Freude an der Füllung des Tors» von Michael Günzburger zog vom Gluri-Suter-Huus auf den Friedhof Brunnenwiese.
Werkhof-Mitarbeiter Marc Meier, der bei der Erstellung des Grundgerüsts mithalf, mit den Gemeinderäten Kirsten Ernst sowie Philippe Rey, Künstler Michael Günzburger und Sarah Merten vom Gluri-Suter-Huus. (Bild: is)

Die Herbstbise hat Blätter auf die 3,80 mal 4,20 Meter grosse Fläche von schwarzem Kies und gebrannten Tonplatten geweht, die vor einigen Tagen im unteren Teil des Friedhofs Brunnenwiese installiert wurde. «Ich bin gespannt, welche Tiere hier einziehen werden, und bald wird auch Unkraut im Kies spriessen», sagt Michael Günzburger. Der Berner Künstler hat die eindrückliche Bodenarbeit für eine Ausstellung in der Galerie des Gluri-Suter-Huuses entwickelt und sie in einer gemeinsamen Ausstellung mit Kilian Rüthemann im August und September dort ausgestellt. Nun hat Günzburger das Werk als Schenkung der Kunstsammlung der Gemeinde Wettingen überreicht. «Ein schöner Moment», freute sich die Leiterin des Gluri-Suter-Huuses, Sarah Merten, bei der Einweihung vor einer Woche.

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Künstler Michael Günzburger. (Bild: is)

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So präsentierte sich das Werk in der Ausstellung im Gluri-Suter-Huus. (Bild: zvg)

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Kratzspuren sind gewollt
Die Terracotta-Platten weisen Kratzspuren auf, welche der Arbeit ihren Titel gaben: «Und ich kratze mit Freude an der Füllung des Tors». Das Werk nimmt so Bezug auf die Geschichte des Gluri-Suter-Huuses, die auch Teil der Wettinger Orts­geschichte ist. Das Gluri-Suter-Huus war ursprünglich ein Landwirtschaftsgehöft und wurde 1972 zum öffentlichen Gesellschaftshaus. «Die Kratzer symbolisieren die Spuren, die dem Haus im Verlauf der Zeit durch bauliche Veränderungen und seine veränderte Funktion eingeschrieben wurden», so Sarah Merten. Andererseits verweisen die Spuren auch auf Erzählungen über Arnold «Gluri» Suter, die bis heute kursieren, aber gemäss Recherchen des Künstlers an der Oberfläche bleiben. «Man weiss nicht viel mehr über ihn, als dass er Schnapsbrenner war und Mitte der 1940er-Jahre nach Appenzell gezogen ist», sagt Michael Günzburger, der sich zu Beginn seiner Arbeit mit der Geschichte und dem Besitzer des Hauses beschäftigt hatte.

Als Inspiration für das Kunstwerk diente ihm die Oberflächenstruktur des Holztors zum ehemaligen Ökonomiegebäude: «Ich habe die Füllungen des Tors in Tonplatten gegossen und mit anderen Materialien vermischt.» In seiner Arbeit verlegte Günzburger die Tür von der Senkrechten in die Horizontale, auf den Boden. «Auch dies hat Spuren hinterlassen», sagt der Künstler. Und nun kamen durch die Verlegung in den Aussenraum und die Fixierung in der Erde weitere dazu.

Der Wunsch, das Werk auf dem Friedhof zu installieren, kam von der Gemeinde. «Unsere Friedhöfe sind Orte stillen Gedenkens und zugleich Zeugnisse der Kultur-, Alltags- und Religionsgeschichte», sagte Gemeinderätin Kirsten Ernst bei der Einweihung. «Sie werden aber nicht nur als Bestattungsorte wahrgenommen, sondern sind auch Zeichen dafür, wie eine Gesellschaft mit dem Tod umgeht. Diese Auseinandersetzung hat in der Kultur ihren festen Platz.» Auch Ratskollege Philippe Rey, Präsident der Kulturkommission, würdigte den Tod und die Kultur als wesent­liche Bestandteile unserer Gesellschaft, die auf dem Friedhof zusammenfinden können: «Denn er ist ein Ort für Hinterbliebene, die noch ein Leben haben.»

Eine erdende Ruhe
Dass die Symbolhaftigkeit des Tors zu diesem Ort voller Erinnerungen und Spuren passe, falle ihm erst jetzt auf, erklärte der Künstler, während er auf dem Friedhof am Rande seines Kunstwerks stand. Es strahlt hier nicht nur selber eine wohltuende, erdende Ruhe aus, sondern findet auf dem Friedhof – wie die Verstorbenen rundherum – seine letzte Ruhe. Bald wird Schnee fallen, und das Kunstwerk wird neue Formen annehmen. «Durch ihre Beschaffenheit erwärmen sich die Tonplatten schneller als der Kies, und der Schnee darauf schmilzt früher. Daraus entstehen dann neue Muster», so Günzburger. Aber wie alles im Leben wird auch sein Kunstwerk nicht für die Ewigkeit Bestand haben. Das sei durchaus gewollt, betont der Künstler: «In fünfzehn bis zwanzig Jahren zersetzen sich die Tonplatten und verschwinden für immer.»