Meistersängerin und Meisterschüler

Die Walliser Sängerin Sina und der Aargauer Mundartpopstar Adrian Stern erzählen von der Zusammenarbeit beim Album «Ziitsammläri».
Sängerin Sina und Sänger Adrian Stern auf dem Bahnhof Baden. (Bild: rhö)

Sina, tragen Sie eine Uhr?
Ich habe eine Uhr an, ein Geschenk von meiner Managerin, ihrer Partnerin und meinem Mann zu meinem vierzigsten Geburtstag. Es ist eine «MeisterSinger». Ich glaube, ihnen hat speziell der Name der Uhr sehr gut gefallen, aber sie sieht auch sehr schön aus. Es handelt sich um deutsches Design und ein Schweizer Uhrwerk, das manchmal etwas nachgeht.

Eine Automatikuhr?
Sina: Ja, wenn ich sie länger nicht trage, bleibt sie stehen. Ich muss mich also immer bewegen, aber das passt, denn ich bin gern in Bewegung.

Adrian Stern: Ich trage zurzeit keine Uhr. Ich besitze eine, die ich jedoch eher als Schmuck einsetze, wenn sie gerade zu einem Outfit passt. Im Alltag wäre sie mir zu viel Ballast.

Benutzen Sie das Handy als Ersatz?
Adrian Stern:
Manchmal, heutzutage gibt es jedoch eh überall Uhren. Ich vergesse die Zeit sehr gern. Mir gefällt es, mich treiben zu lassen und nicht zu wissen, wohin es mich trägt. Manchmal gibt dies allerdings ein böses Erwachen … (Lacht)

Sina: Ich finde es sehr schön, wenn man alles um sich herum vergisst. So ist es mir bei den Plattenaufnahmen an den Giessbachfällen ergangen. Man wusste, dass es am Abend etwas zu essen gibt, aber tagsüber spielten und sangen wir, bis wir irgendwann Hunger bekamen. Die Zeit blieb einfach stehen, ein Gefühl der Ewigkeit.

Was für ein Verhältnis haben Sie zur Pünktlichkeit?
Adrian Stern: Ich war mal mit einem Kollegen in Grenada in der Karibik. Immer, wenn er etwas mit Einheimischen abgemacht hat, fragten sie ihn, ob er Suisse Time oder Island Time meint. Und das konnte einen Unterschied von bis zu zwölf Stunden bedeuten. Ich bin beim Busfahren ganz Schweizer. Wenn der Bus mal zu früh kommt und ich ihn verpasse, nervt mich das fürchterlich! (Lacht)

Sina: Ja, das kann ich nachvollziehen: Zu früh abfahren geht auf keinen Fall! (Lacht)

Wer von Ihnen musste bei der Arbeit an diesem Album öfter auf den anderen warten?
Adrian Stern: Beim letzten Album wurde Sina ungeduldig und wollte eine klare Ansage. Um unsere Zusammenarbeit und meine familiären Verpflichtungen unter einen Hut zu bekommen, begann ich, eine Excel-Liste zu führen, und lernte diese Ordnung schätzen.

Sina: Mittlerweile verfüge ich über genügend Erfahrung, um abschätzen zu können, wie viel Zeit eine Produktion in Anspruch nimmt, auch wenn Gäste involviert sind. Ich plane lieber eine Reserve ein, denn es passiert immer Unvorhergesehenes, und ich renne nur ungern der Zeit hinterher. Nach diesem Interview habe ich deshalb nichts mehr vor und bin die Ruhe selbst.

Wie kam es, dass die Arbeit am Album anderthalb Jahre dauerte?
Sina: Die Pandemie hat uns alle gezwungen, einen Gang zurückzuschalten. Ich war wegen dieser Lungenkrankheit wirklich besorgt, speziell als Sängerin. So habe ich mich vor allem mit meinem Mann im Studio getroffen und irgendwann mit Maske auch wieder mit Adrian. Sehr zeitintensiv war der Austausch mit den dreizehn verschiedenen Autorinnen und Autoren.

Wann stand die Zeit als roter Faden für die Texte fest?
Sina: Zuerst dachte ich, wenn wir die ersten Songs schreiben, würde mir schon etwas einfallen. Je länger wir an diesem Projekt arbeiteten, desto mehr drängte sich die Frage auf: Was bedeutet es, Zeit zu haben? Wie verändert einen Zeit innerlich und äusserlich? Was für Träume hat man. So habe ich den Kreis aufgetan und andere Autorinnen und Autoren gefragt, ob sie mit mir einen Blick auf die Zeit werfen wollen. Dabei sind viele Geschichten unterschiedlicher Art entstanden.

Wie anspruchsvoll war es, die verschiedenen Textformen zu Songs weiterzuverarbeiten?
Sina: Bis zum Schluss haben wir Worte und Melodien einander angepasst – bis wir das Gefühl hatten, sie würden ein Ganzes bilden. Ich habe viele durchgehende Texte bekommen und weiss noch genau, wie Adrian bei Simone Meier den Satz «Warte auf mich» herausgepickt und zum Refrain erklärt hat.

Adrian Stern: Es war für mich, als bekäme ich einen Pool mit Wörtern und müsste den Refrain suchen. Das ist die Kunstform, die mich am meisten fasziniert. Ich zweifelte von Anfang an, ob es einfacher ist, mit fremden Texten zu arbeiten, aber Sina und ich hatten den Ehrgeiz, sie uns zu eigen und zu unseren Songs zu machen.

Sina: Ich habe einen gewissen Erfahrungsvorsprung, da ich schon seit Jahren mit Sibylle Berg zusammenarbeite. «Schwöru» ist einer der wenigen Texte, die ich eins zu eins übernommen habe. Die meisten andern waren Lauftexte und umfassten mehrere Seiten. Herauszuschälen und zu beobachten, wie sie sich inhaltlich, klanglich und formal entwickeln, finde ich enorm spannend. Ein so bildhafter Satz wie «Das Herz liegt auf der Strasse wie ein kaputtes Tier» aus «Probiär’s nomal» wäre mir nie in den Sinn gekommen!

Zeichnet «Kari», einer der stärksten Songs des Albums, ein Bild vom Wallis, das erklärt, weshalb Sie ins Exil in die Üsserschwiiz gingen?
Sina: Ich hatte die gleichen Gründe wie viele meiner Walliser Bekannten, die ebenfalls in der Deutschschweiz leben. Einerseits fehlten im Wallis die Voraussetzungen, um mich beruflich weiterentwickeln zu können, und anderseits wollte ich mich der sozialen Überwachung des Dorfs entziehen und ein selbstbestimmteres Leben führen. Der Zufall wollte es dann, dass ich mit siebzehn an einer Hochzeit, bei der ich gesungen habe, einem Bankmitarbeiter begegnete, der mir einen Job in Genf vermittelte.

So richtig unter die Haut geht das melancholische «Fär wer soll i singu».
Sina: Ursprünglich sollte aus dem Text von Bänz Friedli ein Liebeslied werden. Bei der Arbeit am Text realisierten Bänz und ich, dass wir einen gemeinsamen, früher sehr wortgewandten Bekannten haben, der an Frühdemenz leidet. Da war klar: Seine Geschichte wollten wir erzählen!

Adrian Stern
Freitag, 2. Dezember, 18.30 Uhr
Campussaal in Windisch

Sina
Samstag, 3. Dezember, 20.30 Uhr
Salzhaus Brugg