Vor vollem Hörsaal ist am Max Delbrück Center (MDC) in Berlin der Würenlinger Krebsforscher Walter Birchmeier in den Ruhestand verabschiedet worden. «Als wissenschaftlicher Vorstand hat er das Max Delbrück Center ganz wesentlich mitgeprägt», würdigte ihn das Berliner Forschungsinstitut. «Seine konsequente Fokussierung auf wissenschaftliche Exzellenz hat das Zentrum auf eine neue Stufe gehoben», bilanzierte Thomas Sommer, der derzeitige Wissenschaftliche Vorstand. Unter Birchmeiers Direktion «ist das internationale Renommee des Instituts enorm gewachsen», wie das MDC in einem Communiqué festhält.
Forscherkarriere bis nach oben
Walter Birchmeier kam 1993 an das ein Jahr zuvor aus drei Forschungsinstituten in Berlin gegründete Max Delbrück Center (MDC), das heute 1870 Mitarbeitende zählt, wovon über die Hälfte im Forschungsbereich tätig ist. Neben der Leitung seiner Forschungsgruppe hatte er ab 1996 zusätzlich eine Professur an der Charité-Universitätsmedizin in Berlin inne. 1998 wurde Professor Birchmeier zum Stellvertretenden Wissenschaftlichen Vorstand des Max Delbrück Centers berufen. Von 2004 bis zum eigentlichen Pensionsalter im Jahr 2008 war er Wissenschaftlicher Direktor des MDC. Das enorme wissenschaftliche Know-how in der Krebsforschung, das Birchmeier international zu einem renommierten Forscher und Referenten gemacht hat, nutzte das MDC weitere fünfzehn Jahre. So leitete Birchmeier in den letzten Jahren verschiedene Forschungsprojekte und begleitete viele Doktoranden zum Hochschulabschluss.
Bahnbrechende Ergebnisse
Das Interesse Walter Birchmeiers galt von jeher den am Aufbau von Geweben und Organen beteiligten Zellen. Während seiner Forschertätigkeit entdeckte er unter anderem einen Signalweg, der in der embryonalen Entwicklung von Organismen eine wichtige Rolle spielt. Komplexe biochemische Signale bewirken Verhaltensänderungen von Zellen. Im Zentrum stand die Erforschung von Stamm- und Krebsstammzellen. Diese – hier sehr vereinfacht dargestellten – komplexen Vorgänge verändern sich bei Krebs und anderen Erkrankungen. Dies zu verstehen, kann mithelfen, Erkrankungen in ihrem molekularen Ursprung zu verstehen und mögliche Therapien aufzuzeigen. Birchmeiers Arbeit hat unter anderem zur Identifizierung von Proteinen und möglichen interferierenden Substanzen dieser vielschichtigen Mechanismen beigetragen. Mit seiner Wissenschaftsgruppe lieferte Birchmeier eine Erklärung dafür, wie sich der Krebs im Körper ausbreiten und Metastasen bilden kann. In der anerkannten Fachzeitschrift «Nature» beschrieb die Forschergruppe Birchmeier weitere Signalwege, um später nachzuweisen, dass Störungen an diesen Signalwegen einerseits die embryonale Entwicklung negativ beeinflussen und andererseits die Tumorentwicklung gefördert wird. Diese Erkenntnis wird in Forscherkreisen als «bahnbrechend» bezeichnet.
Walter Birchmeier, der mehr als ein halbes Jahrhundert in der Forschung tätig war, hat erst kürzlich zusammen mit einem Mitarbeiter und einer Pariser Forschungsgruppe drei Gene identifiziert, die beim besonders aggressiven Brustkrebs (Tripel Negative Breast Cancer) aktiviert sind.
Internationale Forschungspreise
Walter Birchmeier hat in seiner beruflichen Karriere rund 200 Forschungsberichte publiziert, die ausschliesslich in englischer Sprache gehalten sind. Für seine hervorragende wissenschaftliche Forschertätigkeit und seine Forschungsergebnisse ist er verschiedentlich geehrt und mit Preisen ausgezeichnet worden. So erhielt er unter anderem den Krebsforschungspreis der Wilhelm-Warner-Stiftung in Hamburg, den Meyenberg-Preis für Krebsforschung in Heidelberg und den Deutschen Krebspreis. «Versuchen Sie, sich MDC und Forschung vorzustellen, wenn Birchmeier auf der Orgelbank oder im Klassenzimmer geblieben wäre. Beides, das MDC und sein Forschungsgebiet, hat er tief geprägt», heisst es in einer Würdigung des MDC.
Birchmeiers Ehefrau, Carmen Birchmeier-Kohler, ist als Professorin ebenfalls am MDC in Berlin tätig. Sie leitet eine Forschungsgruppe zum Thema «Entwicklungsbiologie und Signaltransduktion in Nerven und Muskelzellen».
Vom Bauernsohn zum Professor
Walter Birchmeier ist als Bauernsohn in bescheidenen Verhältnissen in Würenlingen aufgewachsen. Nach der Bezirksschule in Endingen absolvierte er das damalige Lehrerseminar in Wettingen. Nach zweieinhalbjähriger Schultätigkeit in Sulz bei Laufenburg studierte er an der Universität Zürich Biologie. Den Lebensunterhalt verdiente er sich damals mit der Leitung des Kirchenchors von Unterendingen und sonntäglichem Orgelspiel. 1973 ging Birchmeier, frisch doktoriert, in die USA, zunächst an die Cornell-Universität in Ithaca (Staat New York) und anschliessend an die Universität von Kalifornien in San Diego. 1978 kehrte Walter Birchmeier nach Europa zurück, zuerst ans Biochemische Institut der ETH Zürich, um anschliessend als Gruppenleiter an das Friedrich-Miescher-Laboratorium der Max-Planck-Gesellschaft in Tübingen zu wechseln. 1988 wurde er als Professor für molekulare Zellbiologie an das Universitätsklinikum in Essen berufen.