Das Ringen der Betroffenen um Akzeptanz

Ein Teenager ist an Long­Covid erkrankt. Die fehlende Akzeptanz dieser Erkrankung macht der jungen Familie sehr zu schaffen.
Die Folgen der Corona-Erkrankung beeinträchtigen den Alltag der ganzen Familie. (Symbolbild)

Der 13-jährige Roger (Name der Redaktion bekannt) hatte sich im November 2020 und nochmals im März 2021 mit Corona angesteckt. Der Verlauf war beide Male eher harmlos. Doch kurz danach entwickelte sich beim Teenager Long Covid – und verschlimmerte sich nach jedem weiteren Infekt. Rogers Immunsystem war überaktiv. Aus Long Covid entwickelte sich die neuroimmunologische Erkrankung ME/CFS. Eine signifikante chronische Müdigkeit, auch «Fatigue» genannt.

Wer über ein gut funktionierendes Immunsystem verfügt, wird normalerweise schnell wieder gesund. Aber das ist nicht bei allen so. Die Dunkelziffer von Erkrankten, die nach einer Ansteckung noch Wochen oder Monate später an gesundheitlichen Beschwerden leiden, ist gross. Die häufigsten Symptome einer Post-Covid-19-Erkrankung sind starke Müdigkeit, Erschöpfung und Belastungsintoleranz, Kurzatmigkeit und Atembeschwerden sowie Konzentrations- und Gedächtnisprobleme. Aber auch Kopfschmerzen, Husten, Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, Schlaf- und Angststörungen, Muskelermüdung oder -schmerzen, Schmerzen in der Brust sowie Hautausschläge können auftreten. 

Noch wenig anerkannt
Wie alle an ME/CFS Erkrankten hat auch Roger immer irgendwo Schmerzen. Sehr einschneidend ist jedoch die fehlende Konzentration und erhöhte Erschöpfung. Jegliche Überanstrengung führt zu einer Verschlimmerung. Dadurch kann sich die körperliche Gesundheit zunehmend verschlechtern – ohne Garantie auf Besserung. Es ist daher relevant, so wenig Rückfälle wie möglich zu haben. Wie hält man eine solch anspruchsvolle Situation aus? «Uns ist die psychische Gesundheit am wichtigsten, und wir kämpfen dafür, dass die auch bleibt», sagen Rogers Eltern. Sehr hilfreich sei Humor, «und wir kennen inzwischen viele Cartoonisten und Comedians», ergänzen sie. Die Familie möchte anonym bleiben.

Wichtig sei, dass den Betroffenen geglaubt wird, betonen die Eltern. Die Krankheit sei belastend und schwer, die Akzeptanz noch sehr gering. Obwohl ME/CFS seit 1969 von der WHO anerkannt sei, werde die Krankheit in der Schweiz nach wie vor von Fachpersonen und Versicherungen ignoriert, erzählt die Mutter. Der Vater weiss von betroffenen Familien, die deswegen sogar bei der KESB angezeigt werden. «Sie müssen nun auch noch Ärzten und Schulen beweisen, dass ihr Kind ernsthaft erkrankt ist. Gleichzeitig betreuen sie ihr Kind und haben dadurch womöglich Einbussen beim Einkommen.» Es sei eine Schande, wie der Umgang in der Schweiz mit kranken Menschen und ihrem Umfeld sei, finden die Eltern.

Im Alltag hat sich die Familie damit zurechtgefunden. «Roger war noch nie ein Freund grosser Menschenmengen. Aber er hat inzwischen zwei gute Freunde, die seit Krankheitsbeginn regelmässig zu Besuch kommen», erzählt die Mutter. Die Treffen sind oft nicht so lang, manchmal auch nur für ein Mittagessen, oder um ein wenig zu plaudern. Aber Roger sei bis jetzt ganz gut damit zurechtgekommen.

Homeschooling-Unterricht
Es gab eine Zeit, da war der Hund sein bester Freund. «Grundsätzlich holen wir alles und alle ins Haus, weil eine Fahrt oft schon zu viel Energie raubt oder aber im Voraus sehr viel Verzicht bedeuten würde», erzählen die Eltern. So darf Roger mehrere Tage vor einem Ausflug nicht lesen, schwatzen oder etwas für die Schule machen, da ihn dies zu sehr anstrengen würde.

Die öffentliche Schule besucht Roger seit bald zwei Jahren kaum oder gar nicht mehr. Für die wichtigsten Themen kommen Lehrpersonen zu ihm nach Hause. Mit dem Wechsel in die Oberstufe ist die Distanz jedoch zu gross geworden, deshalb unterrichtet ihn seine Mutter nun im Homeschooling. Das kommt Roger am meisten entgegen, weil er sich nur kurze Zeit konzentrieren kann und dann Erholung braucht. So ist es ihm bisher gelungen, den relevanten Schulstoff zu schaffen.

Inzwischen ist Roger schon sehr selbständig. Er hat einen Wochenplan, an dem er sich orientiert. Das ermöglicht ihm auch, sich bei einer Überbelastung einen Tag ausruhen zu können. Manchmal «besucht» er auch eine Online-Schule. Dies finanziert die Familie ebenfalls selber. «Die Tage bei uns sind sehr ruhig, weil die Krankheit auch eine Reizintoleranz mit sich brachte. Nebst dem Wochenplan hat unser Sohn tägliche Aufgaben wie Körperübungen, um beweglich zu bleiben, mit dem Hund raus­gehen, Singen und Ämtli im Haushalt», berichten die Eltern.

Die Familie ist der Vereinigung longcovidkids.ch beigetreten. Dort unterstützen betroffene Familien einander und tauschen wichtige Informationen aus, insbesondere aus ausländischen Studien. «Wir sind in der Schweiz nicht sehr gut abgedeckt. Wir ‹Laien› kennen uns nach zwei Jahren oft besser mit Long Covid und ME/CFS aus als vermeintliche Profis. Glücklicherweise können das einige Mediziner auch so akzeptieren, dann ergibt sich eine gute Zusammenarbeit», so die 48-jährige Mutter.

Keine psychische Erkrankung
Aktuell werden in der Schweiz Versuche mit Medikamenten gegen Multiple Sklerose gemacht. Die Tests werden bei Erwachsenen durchgeführt. «Würden wir nicht selber forschen, Studien lesen, ausprobieren, wäre unser Kind heute bettlägerig», behauptet die Mutter. Dass sie mit Roger einen «gesunden» Weg gehen können, sei einzig der Hausärztin und einer Fachärztin vom Kinderspital Zürich zu verdanken.

Wie stellen sich die Eltern Rogers Leben in zehn Jahren vor? Das komme ganz darauf an, ob es bis dahin ein Heilmittel gäbe und ob dies bei ihm auch wirke, sagen sie und sind sich einig: Roger werde ein humorvoller, interessierter Mensch bleiben, der seine Kapazitäten mit vielen Ideen füllen werde. Wichtig ist der betroffenen Familie vor allem eines: «Es ist inzwischen erwiesen, dass Long Covid sowie ME/CFS keine psychischen Erkrankungen sind. Das sollte endlich von allen Beteiligten ernst genommen werden.»

Weitere Informationen:
longcovidkids.ch
long-covid-info.ch
sgme.ch