«Uns beide gab es nur als Duo»

Coiffeuse Gaby Sutter (76) und Rezeptionistin Verena Bodenmann (80) gingen nach vierzig gemeinsamen Jahren in Pension.
Lernten sich 1982 bei Coiffina kennen: Verena Bodenmann und Gaby Sutter. (Bild: rhö)

Stephan Wassmer, der 45 Jahre zu den renommiertesten Coiffeuren in Baden zählte, hatte seinen Salon schon per 1. August 2022 an Saskia Krassen verkauft, um sich ganz auf die Arbeit an seinem Wohnort Luzern konzentrieren zu können. Mit dem Jahresbeginn verschwand an der Weiten Gasse 37 nicht nur das alte Namensschild und wurde durch Private Hair & Style ersetzt, es gingen auch zwei Frauen in Pension, für die ihre Arbeit weit mehr als nur ein Broterwerb war. Gaby Sutter und Verena Bodemann lernten sich 1982 bei Coiffina als Coiffeuse und Kundin kennen, bevor sie als Arbeitskolleginnen und Freundinnen unzertrennlich wurden. 1995 wechselten die temperamentvolle Baslerin und die zuvorkommende Zürcherin gemeinsam zu Coiffeur Grimm und 2000 zu Stephan Wassmer. Nun wollen sie auch einen Teil der gewonnenen Freizeit miteinander verbringen.

Gaby Sutter und Verena Bodenmann, warum gehen zwei Frauen, die noch so jugendlich und vital wirken, schon in Pension?
Sutter: (Gelächter) Irgendwann kam der Zeitpunkt, wo wir sagen mussten: Jetzt ist es gut! Nach 23 Jahren bei Stephan Wassmer, die wir in bester Erinnerung behalten werden, hat uns die Handänderung diesen Entscheid erleichtert. Damit ist unser Wunsch, nach dieser langen gemeinsamen Zeit auch gemeinsam aufhören zu können, in Erfüllung gegangen.

Bodenmann: Seit Stephan Wassmer nicht mehr hier arbeitet, ist es ruhiger geworden. Für mich als Rezeptionistin fast schon zu ruhig …

Sutter: Er bediente immer drei bis vier Kundinnen gleichzeitig. Wir mussten dafür besorgt sein, dass jemand für ihn Haare waschen oder Farbe auftragen konnte, wobei Verena die Supermanagerin war, die mitgedacht und die Termine so gelegt hat, dass kein Chaos entstand.

Bodenmann: Früher war der Salon ein Bienenhaus, ein Kommen und Gehen, das mich den ganzen Tag gefordert hat. Die Räumlichkeiten sind seit der Geschäftsübergabe weniger ausgelastet, weil alle Mitarbeiterinnen Teilzeit arbeiten, wir zurzeit keine Auszubildende beschäftigen und die Einführung des neuen Angebots Haarverlängerungen verschoben werden musste.

Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?
Bodenmann: Ich war Kundin von Gaby. Als ich ihr erzählte, dass Globus meine Stelle in der Bürolehrlingsausbildung gestrichen hatte und ich mir den Job als Rezeptionistin bei Coiffina vorstellen könnte, sagte sie: «So ein Pech, da haben wir gerade jemanden eingestellt.» Eine Woche später rief sie mich an: «Hast du schon einen Job? Die Neue war überfordert. Nun hat mich der Chef gefragt, ob ich nicht jemanden wüsste …» Danach gab es uns nur noch als Duo!

Woher nehmen Sie beide Ihre Energie?
Bodenmann: Ich habe immer gerne gearbeitet. Wir waren von Beginn an ein tolles Team, fast wie eine Familie. Das gab uns Kraft.

Sutter: Wenn man unter älteren Leuten ist, sind fast alle am Jammern. Wir waren immer um junge Leute herum. Da blieb gar keine Zeit, um darüber nachzudenken, wie alt ich eigentlich bin. Wenn der Rücken mal weh tat, weil man sich beim Haare waschen immer über das Becken beugen musste, wusste ich: Das geht allen so.

War es nie ein Thema, mit 64 in Rente zu gehen?
Sutter: Nein, wenn ich von Kundinnen hörte, dass sie ihre Enkel hüten gingen, sagte ich, dass ich keine habe und mich noch zu jung fühlen würde, um nicht mehr zu arbeiten. Zudem hiess es jedes Mal wieder: «Gäll, ihr hängt aber noch ein Jahr an!» Wir haben nur langsam das Pensum auf zuletzt sechzig Prozent reduziert.

Wie hat sich Ihr Beruf verändert?
Sutter: Nicht gross, aber natürlich hat die Mode gewechselt. Es ist alles legerer, nicht mehr so steif. Ich konnte meine Kreativität besser einbringen. Heute kommen die Frauen, um sich die Haare färben zu lassen oder zum Schneiden. Waschen und föhnen können sie auch daheim. Früher hatten wir viele Wochenkundinnen, die zum Dauerwellen machen oder zum Waschen-Legen kamen, jede Woche zur gleichen Zeit. Das war sehr eintönig.

Wie kamen Sie mit der Funktion als Kummerkasten zurecht?
Sutter: Wenn die Leute gar kein Interesse besassen, sich mit mir zu unterhalten, sondern nur jemandem erzählen wollten, was ihnen auf dem Herzen lag, und dabei sicher sein wollten, dass diese Person es nicht weitererzählt, kam ich mir manchmal schon wie ein Mistkübel vor.

Welche Frisuren haben sich Ihnen besonders eingeprägt?
Sutter: Keine war so gefragt wie die von «Drei Engel für Charlie»-Star Farrah Fawcett-Majors. Alle Frauen wollten ihre Frisur, sogar dunkelhaarige! (Lacht) Heute müssen es einfach lange gerade Haare sein. Da brauchte ich zum Glück keine Lockenwickler mehr. Zuletzt musste ich auch nur noch zwei, drei Stammkundinnen toupieren.

Wie oft war ein neuer Look erwünscht?
Sutter: Es gab Kundinnen, die sich jahrelang immer nur die Spitzen schneiden liessen. Wenn es dort plötzlich «Haar ab!» hiess, wusste ich, dass es in ihrem Leben gewichtige Veränderungen gab. Eine Viertelstunde später erzählten Sie mir, dass sie sich getrennt oder eine spezielle Herausforderung angenommen hätten.

Wie haben sich Ihre eigenen Frisuren über die Jahre gewandelt?
Bodenmann: Ich hatte immer eine Kurzhaarfrisur – auch, weil ich fand, dass ich für etwas anderes zu dünne Haare hätte.

Sutter: Früher hatte ich auch mal kurze Haare. Weil ich gross gewachsen bin, schien das jedoch nicht zu mir zu passen. Ich bewege mich seither immer im gleichen Bereich. Das ist bei vielen Kundinnen so. Höchstens fünf Prozent von allen kamen zu mir und forderten mich auf, sie so umzustylen wie ich fand, dass es zu ihnen passte. Sogar die schränkten jedoch meistens ein: Vorne muss die Länge bleiben, gestuft soll die Frisur nicht sein, und so weiter. Darauf sagte ich: «Gut, machen wir es wie immer!» Dann lachten sie, weil ihnen klar geworden war, dass sie sich zwar gerne verändert hätten, ihnen aber noch der Mut dazu fehlte.

Zu welchem Coiffeur gehen Sie?
Sutter: Heute lasse ich mir die Haare von irgendjemandem im Salon machen. Wer gerade Zeit hat, übernimmt. Es sind alle gut.

Würden Sie, Frau Sutter, sich auch bei Frau Bodemann hinsetzen?
Sutter: Nein, darauf würde ich es nicht ankommen lassen. Eher würde ich sie selbst schneiden. Entschuldigung, Verena! (Lacht)

Bodenmann: Ich kann aber sehr wohl mit der Schere umgehen, denn ich habe ursprünglich Damenschneiderin gelernt. (Schmunzelt)

Welche Kindheitserinnerungen verbinden Sie mit dem Coiffeurbesuch?
Sutter: Für mich war er ein Horror! Immer, wenn meine Haare gerade die Länge erreicht hatten, die mit gefiel, sagte mein Vater, ich müsste zum Coiffeur, weil ich nicht mehr zu den Augen raussehen würde. Zuerst wurde mir der Nacken rasiert. Dann wurden die Haare seitlich immer genau auf der Höhe abgeschnitten, die meine abstehenden Ohren besonders zur Geltung brachte. Die Fransen wurden ebenfalls zu kurz geschnitten. Schon damals fragte ich mich: Wie kann man nur? Es ging eben darum, Geld zu sparen.

Wie viel können die heutigen Kinder mitreden?
Sutter: Viele Zehnjährige wissen schon genau, was sie wollen, entweder die Frisur, die ihre Gspänli tragen, oder was sie bei Fussballern und Popstars sehen.

Wie sollte man seine Haare pflegen?
Sutter: Es ist wie mit der Haut: Wenn Sie nur nehmen, aber nichts geben, sehen sie entsprechend aus. Ich empfehle Produkte mit Inhaltsstoffen auf natürlicher Basis. Keratin macht das Haar griffig und gibt ihm Halt. Auf jeden Fall sollte man es nicht überstrapazieren. Wenn es mal kaputt ist, hilft nur noch die Schere.

Was kann man eigentlich dagegen tun, dass die Frisur jedes Mal zerstört ist, wenn man im Winter eine Mütze getragen hat?
Sutter: Die Kopfwärme erwärmt die Haare, die dadurch leicht formbar werden, und die Mütze drückt sie flach. Es ist, als ob man mit einem Bügeleisen drüberfahren würde. Dann hilft höchstens Strubbeln, wobei ich die Mütze im Restaurant aufbehalten würde.

Was bewegt Sie kurz vor Ihrem letzten Arbeitstag?
Einhellig: Da sich unsere Pensionierung unter der Kundschaft herumgesprochen hat, ist sie schon sehr emotional und geht unter die Haut. Es ist ein Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

Sutter: Manche fragen, ob ich zu Hause weiterarbeiten würde. Meine Antwort lautet: Wenn ich weiterarbeiten wollte, würde ich es in diesem Salon tun.

Welche Pläne haben Sie für 2023?
Sutter: Einfach mal ein wenig spontaner zu leben. Es war ja in unserem Beruf nicht möglich, auch mal kurzfristig freizunehmen, wenn schönes Wetter zu einem Ausflug eingeladen hat. In Zukunft können wir uns in den Zug setzen und ins Tessin fahren, um einen Kaffee zu trinken. Vielleicht engagiere ich mich auch in einer sozialen Institution. Es gibt so viele alte Menschen, die sich freuen, wenn man mit ihnen spazieren geht oder ihnen beim Einkaufen hilft. Aber am Anfang will ich mich mal nicht verplanen!

Wofür interessieren Sie sich sonst noch?
Bodenmann: Wir machen schon seit Jahren mindestens einmal pro Jahr zusammen Ferien, gehen an die Basler Fasnacht, ins Theater, zu Konzerten oder in die Oper. Nun sollten wir auch endlich Zeit finden, um das Fortyseven zu besuchen!