Innere Hitzewelle durch Trockenheit

In der Rubrik «Querbeet» beleuchten namhafte Autorinnen und Autoren ein von ihnen gewähltes Thema – und sorgen damit wöchentlich für Inspiration.

Ein Bericht über null Alkohol, Zitronenwasser, Smoothie-Drinks, Virgin Cocktails, das Lavieren zwischen Krise und Euphorie, der Kampf mit dem inneren Schweinehund, die perfekte Challenge: Dry January. «Gesund und fit ins neue Jahr starten!» Dies ist der Slogan einer weltweiten Bewegung, die für einen Monat auf Alkohol verzichtet. Klingt doch machbar, oder? Mit einem ordentlichen Hangover vom Silvester in ein alkoholfreies neues Jahr starten, auf die Alkoholbremse treten und meiner Leber ein paar entlastende Detox-Wochen gönnen – ein wenig Enthaltsamkeit kann auch mir keineswegs schaden, dachte ich mir.

Zu Beginn sind die Zeiger der Uhr nur so dahingekrochen. Die Verlockungen des Alltags sind gross, die unzähligen Treffen nüchtern zu bewältigen, fordern mich, die allgegenwärtigen Apéros sind verführerisch, die Fragen, die üblicherweise aufkommen, wenn du ein alkoholisches Getränk ablehnst, wie ob du schwanger bist, nerven: Alkohol ist allgegenwärtig, von der Taufe bis zum Leichenschmaus und nicht nur bei den wichtigen Stationen im Leben, sondern auch im Alltag: immer und überall. Selbst die Träume ändern. Statt von Albträumen wie Versagen, Fliegen, Stürzen oder dem Nicht-Vorankommen geplagt zu werden, übernehmen jetzt riesige Champagnergläser die Traum-Hauptrolle.

Einen Monat nüchtern zu sein, kann hart sein. Die Zeit vergeht viel langsamer als sonst, begleitet von überschwappenden Emotionen, der zu Beginn totalen Gesellschaftsunfähigkeit und irgendwie gänzlich ohne den gewohnten Blick nach aussen. Alles kehrt sich nach innen. Die Gedanken sind drehende Kopftornados, und weil sie nicht raus können, gehen sie im Innern eigene Wege. Du kommst bei dir selbst an, ganz nach dem Motto «Entrümple dich und dein Leben». Statt TV gibt es Nachrichten von dir selbst, «The Hofmann Reality Show». Alles frei Haus, ohne Guru, Bibel, Ratgeber, Coachings und Therapien.

Fazit: Das tut echt gut. Werde ich wieder tun, tage- oder auch wochenweise. Nur schon wegen des Dings, auf das ich lange gewartet, ja sogar den Moment herbeigesehnt habe: ein prickelndes Glas Champagner. Prost!

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