«Reife Schauspielerinnen werden geschätzt»

Die preisgekrönte Schauspielerin Rachel Braunschweig zeigt im Kurtheater mit dem Theater Marie ein Stück nach Schillers «Die Räuber».
«Stärkere Persönlichkeit als Schillers Vater»: Rachel Braunschweig als Mutter Moor im Stück von Buchpreisträgerin Martina Clavadetscher. (Bild: zVg | Ingo Höhn)

Rachel Braunschweig, Sie haben in den letzten Jahren eine tolle Film- und TV-Karriere hingelegt. Wie ist es für Sie, wieder mal auf einer Theaterbühne zu stehen?
Mein letztes Theaterprojekt war tatsächlich 2019. Danach spürte ich: Es ist der Moment, eine Pause beim Theater einzulegen. Man investiert so viel Aufwand und Zeit, verdient aber im Verhältnis viel weniger als bei Film und Fernsehen. Ich habe zwei Kinder und ernähre meine Familie zur Hälfte mit. Es war also auch eine finanzielle Frage.

Warum sagten Sie nun für das Stück «This is a robbery» vom Theater Marie zu?
Bei dieser Produktion stimmt alles zu hundert Prozent – das Ensemble, die Regie. Manuel Bürgin kenne ich vom Theater Winkelwiese in Zürich. Auch die Autorin Martina Clavadetscher, die Dramaturgin Maria Ursprung und das Theater Marie schätze ich. Ich hatte eine inspirierende Probezeit. Da waren wieder Ideen, Spiellust, Phantasie. Es ist eine sehr positive Erfahrung. Ich habe mich mit dem Theater versöhnt, bin «back to the roots», und das ist toll.

Das Stück ist eine sogenannte Überschreibung von Friedrich Schillers Drama «Die Räuber». Was hat man sich unter diesem Begriff vorzustellen, oder anders gefragt: Wie viel Schiller steckt noch drin?
Martina Clavadetscher stellt die Frage, wie Schiller sein Stück in der heutigen Zeit schreiben würde. Die Grundanordnung ist klar Schiller. Doch während im Original mit Ausnahme der Amalia alles männliche Figuren waren, stehen nun lauter Frauen auf der Bühne. Der Vater ist eine Mutter, die Räuber sind Räuberinnen. Das Stück enthält zahlreiche Schiller-Zitate, aber es ist auch viel Clavadetscher, Brecht und Marlene Engelhorn drin …

… die österreichische Millionen-Erbin und Aktivistin, die für die Idee kämpft, dass Vermögen verpflichtet, es mit anderen zu teilen.
Genau. Die junge Frau, im Stück heisst sie Ka Moor, wendet sich von ihrer vermögenden Familie ab und stellt infrage, dass im Verteilkampf die einen leer ausgehen, während andere im Überfluss leben. Das lässt sich gut auf die Schweiz über­tragen: Wie geht man hier mit dem Thema Erbe um, wo wir ja schon mit der Geburt so sehr privilegiert sind? 

Sie spielen die Mutter der verfeindeten Schwestern. Was ist das für eine Figur?
Ich bin vermögend, habe jahrzehntelang mit dem Selbstbewusstsein gelebt, viel zu haben. Ich bin sehr mo­nologisch unterwegs. Dann kommen meine zwei Töchter ins Spiel. Die eine tritt in meine Fussstapfen in der wohlhabenden Gesellschaft, die andere ist die Stimme der Marlene Engelhorn, die bereit ist, ihre Privilegien zu teilen. Durch ihre Debatte wird die Mutter angeregt und verändert ihre Denkweise. Ganz im Gegensatz zu Schiller, wo der Vater ein kränkelnder, gebrochener Mann bleibt, wächst die Mutter zu einer starken Persönlichkeit. Dahinter steckt auch die Idee, dass Veränderung von oben kommen muss, es braucht diese Unterstützung, um Privilegien abgeben zu können.

Das Bühnenbild besteht aus siebzig symmetrisch angeordneten Stehpulten. War das ebenfalls eine Herausforderung?
Es ist ein tolles und aufwendiges Bühnenbild! Aber es braucht auch viel Platz. Wir spielen an ganz unterschiedlichen Orten, und je nach Grösse der Bühne wird es adaptiert – was wiederum eine Wirkung auf unser Spiel hat. Das Stück lebt sehr vom Zusammenspiel. Der Text ist nicht ganz ohne, es sind eher Textflächen. Martina Clavadetscher ist eine zeitgenössische Autorin mit ganz eigener Sprache. Die Probearbeit bestand vor allem darin, diesen zu durchdringen und mit Situationen zu verbinden, um ihn lebendig zu machen. Das war ein grosser Spass.

Unter den Räuberinnen sind drei Darstellerinnen der «Jungen Marie». Wie war die Zusammenarbeit für Sie als erfahrene Kollegin?
Es funktionierte wunderbar und auf Augenhöhe. Die jungen Schauspielerinnen sind total ernsthaft, klug, kritisch und probieren Dinge aus. Im Stück geht es auch um Solidarität und Gleichberechtigung. Diese Generation hat nochmal einen anderen Gerechtigkeitssinn als wir früher.  Das sehe ich bereits an meinen eigenen Kindern, die noch etwas jünger als die Schauspielerinnen der «Jungen Marie» sind.

Das Alter beschäftigt viele Ihrer Berufskolleginnen. Darf man fragen, wie alt Sie sind?
(lacht) Ich bin 54 und werde dieses Jahr 55. Der Markt hat sich aber in dieser Beziehung verändert. Wir reiferen Schauspielerinnen sind in der Gesellschaft angekommen, dieses Bedürfnis wird wahrgenommen und als Business entdeckt. Das Pub­likum nimmt das an und schätzt es. Dafür gibt es international viele Beispiele, wie die «Oscars» zeigen. Schauspielerinnen haben mit 50 oder 60 eine andere Tiefe und Vielschichtigkeit, und sie werden endlich dafür geschätzt.

Sie feierten als Hauptdarstellerin mit «Die Göttliche Ordnung» einen Grosserfolg. Sind wir in der Gleichberechtigung heute weiter?
Auf jeden Fall. Es ist toll zu sehen, wie junge Männer jetzt auch mitziehen. Das hat auch mit Erziehung zu tun. Trotzdem gibt es weiterhin viel zu tun. Themen wie Teilzeit- und Care-Arbeit sind noch immer mit einer zu grossen Selbstverständlichkeit dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Mit Familie arbeiten Frauen 50 und Männer 80 oder 100 Prozent. Warum? Zudem wirkt sich das enorm auf die Altersvorsorge aus. Das darf nicht sein!

«Tatort», «Neumatt», Theater – was steht als Nächstes bei Ihnen an?
Ich habe gerade in Berlin einen Kinofilm mit Andreas Dresen abgedreht und feiere Premiere mit einem Mehrteiler fürs ZDF, der die diesjährige «Berlinale Series» eröffnen wird. Im Juli beginnen die Dreharbeiten für einen historischen Kinofilm, und im Herbst gehts dann weiter mit der dritten Staffel von «Neumatt».

Dienstag, 21. Februar, 19.30 Uhr,
Mittwoch, 22. Februar, 10 Uhr
(Schulvorstellung), kurtheater.ch