«ABB ist Baden, und Baden ist ABB»

Seit einem halben Jahr ist Nora Teuwsen Chefin von ABB Schweiz. Die Managerin über Fachkräftemangel, gesunde Mitarbeitende und Bügeln.
Gut bei ABB Schweiz angekommen: Nora Teuwsen beim Interview in der Sofaecke am Hauptsitz. (Bild: is)

Nora Teuwsen, Baden ist der Hauptsitz von ABB Schweiz. Haben Sie schon viel von der Stadt gesehen?
Ein wenig habe ich Baden schon entdeckt, wenn ich manchmal über Mittag die Limmat entlang oder durch die Altstadt jogge. Auch die Villa Langmatt und die Villa Boveri habe ich besucht. Bei einer Firma mit einem solch historischen Erbe zu arbeiten, ist ein Privileg. Baden ist ABB, und ABB ist Baden! Das wusste ich zwar schon vorher, aber jetzt spüre ich diese Verbundenheit. Viele Mitarbeitende haben eine Geschichte zur ABB zu erzählen, haben ein Familienmitglied, das schon für ABB arbeitete. Auch die lokalen Behörden und Stadtammann Markus Schneider habe ich schon kennenlernen dürfen.

Sie sind seit einem halben Jahr im Amt. Wie haben Sie sich hier eingelebt?
Sehr gut. Schon während meiner Zeit bei den SBB hatte ich immer wieder mal mit ABB zu tun. Aber ob die eigenen Vorstellungen mit der Realität übereinstimmen, weiss man erst, wenn man dann da ist. ABB ist ein sehr starker Brand. Wir packen die grossen Themen der Gesellschaft an – Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. Es fühlt sich gut an, Teil eines Unternehmens zu sein, das mit Automations- und Elektrifizierungslösungen eine nachhaltige Zukunft ermöglicht. Ausserdem mag ich handfeste Dinge. Es macht mir Freude, durch die Fabriken zu gehen und zu sehen, wie wir Spitzentechnologie produzieren. Das fehlte mir ein wenig in meiner Tätigkeit als Beraterin, da stand ich mehr an der Seitenlinie. Ich bin jemand, der gern entscheidet und Verantwortung übernimmt.

Wie stellt man sich 3500 Mitarbeitenden vor? Die Hand schütteln geht ja nicht …
Mein Anliegen war, schnell Nähe herzustellen. Deshalb lud ich zu einem ersten virtuellen Call über Mittag ein, in den sich alle Mitarbeitenden einwählen und Fragen stellen konnten. Ich glaube, das wurde sehr geschätzt. Wir möchten dieses Format noch viel häufiger wiederholen und so die Zusammenarbeit und offene Kommunikation fördern.

Sind Sie eine Verfechterin von schnellen Veränderungen?
Ich glaube, man muss schon relativ schnell Veränderungen angehen, aber nicht zu schnell. Sonst läuft man Gefahr, am falschen Schnürchen zu ziehen. Gerade am Anfang ist es wichtig, zuerst die Menschen und die Kultur kennenzulernen sowie die informellen Abläufe zu verstehen. Ich bin eine Verfechterin von simplen Lösungen. Wenn man versucht, die Komplexität zu reduzieren, hat das in der Regel eine grosse Wirkung. Da haben wir sicher noch Potential.

Sie haben einen juristischen Background – wie detailliert müssen Sie über die Technologien bei ABB Bescheid wissen?
Ehrlich gesagt: Es wäre falsch, wenn ich in meiner Rolle alles verstehen wollte. Ich bin hier, um das «Big Picture» zu haben und die richtigen Fragen zu stellen, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die Leute mit den richtigen Stärken dort zu positionieren, wo sie gut sind, damit sie innovativ und erfolgreich sein können. Dafür benötige ich ein technisches Verständnis auf einem höheren Level, doch der Lernprozess ist immer noch im Gange.

Konnten Sie seit Ihrer Einstellung bereits alle Standorte der ABB Schweiz besuchen?
Ja, Ende Januar war ich noch in der letzten Produktionsstätte im Tessin. Ich bin ein visueller Mensch und möchte «eine Nase voll nehmen», mit den Leuten sprechen, ihre Arbeit und die Produkte sehen. Das hilft mir, die Dinge besser zu verstehen. Tief beeindruckt hat mich auch der Standort Dättwil, eines der globalen ABB-Forschungszentren. Von dort werden Lösungen in die Welt hinausgetragen. Was für eine intellektuelle Leistung und Innovationskraft! Auch unsere Produktionsstätte für Energiespeicher im Hauptgebäude in Baden ist eindrücklich.

Waren Sie auch auf der Baustelle des neuen Multifunktionsgebäudes «Emotion» in Untersiggenthal?
Selbstverständlich, schon mehrmals sogar! Leider war der Spatenstich vor meiner Zeit. Wir planen gerade die Eröffnung im November. Der auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Neubau ist auch ein Bekenntnis zum Standort – mit 1200 Mitarbeitenden ist Untersiggenthal der grösste bei ABB Schweiz. Es ist ein grosses Investment, doch ich freue mich darauf. Es wird auch für Mitarbeitende ein sehr attraktiver und moderner Arbeitsplatz.

Eine Chefin, die Offenheit vorlebt. Seit einem halben Jahr ist die Zürcherin Nora Teuwsen (47) Vorsitzende der Geschäftsleitung von ABB Schweiz mit rund 3 500 Mitarbeitenden. (Bild: zVg)

In Zeiten von Fachkräftemangel ein gutes Argument als Arbeitgeber!
Klar, den Mangel spüren wir auch. Ende 2022 hatten wir immer noch rund hundert unbesetzte Stellen über die unterschiedlichsten Berufsfelder hinweg. Meine Hypothese ist jedoch, dass unsere starke Marke uns aktuell noch hilft, Fachkräfte anzuziehen. Wir dürfen uns aber nicht darauf ausruhen und möchten auch in Zukunft eine attraktive Arbeitgeberin bleiben. Und da arbeiten wir an ganz vielen Themen.

Woran genau?
Ein grosses persönliches Anliegen ist, Mut und die Neugier zu fördern. Die Mitarbeitenden sollen sich trauen, Verantwortung zu übernehmen und innovativ zu sein, ohne Angst vor Fehlern haben zu müssen – das blockiert alles. Ausserdem haben wir eine Roadmap erstellt mit Fokusthemen – eines davon ist die Arbeitgeberattraktivität. Dort sind wir dabei, laufend unsere Anstellungsbedingungen weiterzuentwickeln. Zum Beispiel gibt es bei uns vier Wochen Vaterschaftsurlaub und bei jeder Stelle die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten. Zudem arbeiten wir stark am Thema resiliente Gesundheitskultur. Als Arbeitgeberin wollen wir frühzeitig spüren oder erfahren, wenn jemand am Limit läuft. Nur so kannst du reagieren und auch helfen, damit es nicht zu langen Ausfällen kommt. Wir wollen eine Stärkekultur pflegen, in der sich die Leute aufgehoben fühlen. Dazu führen wir unter anderem interne Workshops durch.

Inwiefern gehen Sie in Ihrem Beruf selbst in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel voran?
Direkt am Anfang meiner Zeit bei ABB hatte ich zwei Todesfälle in der Familie, das war heftig. Aber ich habe das selber in einem dieser Workshops thematisiert. Es ist wichtig, dass man Offenheit vorlebt. Dasselbe gilt beim sozialen Engagement: Wir haben per 1. Januar den «Volunteer Day» eingeführt. Alle Angestellten dürfen an einem Tag im Jahr auf Kosten der Arbeitszeit ein soziales Engagement ausüben. Die Geschäftsleitung macht natürlich auch mit: Wir unterstützen im März Pro Natura Aargau bei einem Projekt in der Region: Alle zehn Mitglieder und der VR-Präsident gehen im Wald arbeiten.

Drei von zehn GL-Mitgliedern bei ABB Schweiz sind weiblich. Der Konzern möchte den Frauenanteil in Führungsetagen generell auf 25 Prozent verdoppeln…
Das Ziel ist ja, dass wir gar nicht mehr darüber reden müssen. Leider sind wir noch nicht an diesem Punkt. Das bedrückt mich persönlich schon. Wir wollen bei ABB Diversität, denn wir sind überzeugt, dass wir so kreativere Lösungen finden und gemischte Teams qualitativ ein Vorteil sind. In der Industrie ist es aber besonders schwierig, Frauen zu gewinnen, und in der Schweiz sehe ich noch sehr traditionelle Rollenbilder. Das erstaunt mich immer wieder, und ich erfahre es auch im privaten Umfeld. Obwohl wir mitten in der Stadt Zürich wohnen, bin ich eine der wenigen Mütter, die hundert Prozent arbeitet. Da sehen meine Kinder andere Rollen­modelle, und da kommen auch Fragen.

Zum Beispiel?
Ein lustiges, das allerdings schon einige Jahre zurückliegt: Als mein Sohn fünf war, kam er vom Kindergarten heim und sagte, «Mama, ich will, dass du auch mal bügelst!» Kinder wollen ja nicht anders als die andern sein. Ich war die Exotin. Ich bügle schon, aber einfach anders. (Lacht) Mittlerweile spüre ich jedoch, dass unsere Kinder fast ein wenig stolz auf unser «Modell» sind und ihren Beitrag leisten. Das führt dazu, dass sie sehr früh selbständig sind. Aber es ist wunderschön zu sehen, wie sie Verantwortung innerhalb der Familie übernehmen und an ihren Aufgaben wachsen.

Für Sie war immer klar, Beruf und Familie vereinbaren zu wollen?
Diese Frage hat sich für mich nie gestellt, es war selbstverständlich. Ich hatte eine Mutter, die mir das vorlebte. Sie war Journalistin und hat immer gearbeitet. Auch mit meinem Mann musste ich nie darüber diskutieren. Wir teilten dieses Rollen- und Werteverständnis von Beginn an. Es ist wichtig, dies in der Beziehung am Anfang zu klären. Aber: Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen, ist definitiv eine Challenge.

Frauen, die studiert haben, scheiden nach der Familiengründung oft aus dem Berufsleben aus.
Ich persönlich finde das sehr schade. Letzlich muss jedoch jede für sich den Weg finden, viele kommen ja auch wieder zurück. Auch da haben wir Lösungen. Bei uns kann man bis zu achtzig Prozent von zuhause oder unterwegs arbeiten, gleichzeitig sind beispielsweise unsere eigenen ABB-Kinderkrippen eine grosse Entlastung für Eltern.

Wie könnte man das Problem konkret lösen?
Bei ABB Schweiz müssen wir ganz vorne anfangen, indem wir das Berufsbild weiblicher gestalten, um mehr Mädchen für technische Berufe zu begeistern. Wir haben die Mädchen-Techniktage in der Sek und machen am Zukunftstag mit. Da waren meine eigenen Kinder letztes Jahr übrigens auch dabei – meine Tochter hat Verlängerungskabel gebastelt und fand das lässig. Aber das ist halt nicht genug. Wir müssen vermehrt in die Schulen gehen, das prüfen wir derzeit. Am Ende braucht es Vorbilder. Und so versuche ich, meinen persönlichen Beitrag zu leisten.

Arbeiten Sie in einem Hundert-Prozent-Pensum?
Hundert Prozent bezahlt (lacht). Ich bin sehr flexibel und habe privat und Büro nie klar getrennt. Mir macht mein Job extrem viel Spass, und ich habe gar nicht das Bedürfnis, mich abgrenzen zu müssen. Es ist ein positiver Druck. Mir gelingt es aber schon, auch mal abzuschalten, sei es beim Joggen oder beim Wandern mit der Familie. Die letzten Monate waren sehr intensiv, doch das ist am Anfang normal.

Wenn die Zahlen stimmen, hat es sich gelohnt, oder?
Wir sind zufrieden. Unser Business ist sehr international, der Export macht einen Grossteil unseres Umsatzes aus. Aber wir befinden uns momentan in keinem einfachen Umfeld. Wir kommen aus Corona, beklagen Fachkräftemangel, und da ist der Krieg in der Ukraine. Das sind Dinge, die wir zu spüren bekommen. Trotzdem ist es uns mit unseren hoch engagierten Mitarbeitenden gelungen, eine gute Performance zu zeigen.