Beim Spazierinterview mit Angelika Curti wird klar: Ob joggend an der Aare oder wandernd in den Bergen – in der Natur tankt die Brugger Psychiaterin und Psychotherapeutin auf, in der Bewegung kann sie loslassen – und auch mal sehr gezielt ein Gutachten im Kopf vorformulieren. «In Bewegung kann ich besser denken», sagt die Einwohnerrätin, die hauptberuflich an der PDAG in Königsfelden tätig ist. Manchmal steigt sie während des Joggens auch für ein Winterbad in die Aare. «Ich mag Herausforderungen – die Ausschüttung der Endorphine nach dem Baden ist unglaublich», lacht sie.
Das Blickfeld neu öffnen
Im Sommer steht für die 61-Jährigedie nächste grosse Herausforderung an. Sie tritt an der PDAG kürzer und macht sich selbständig – in einer Gemeinschaftspraxis mit zwei anderen Brugger Psychiatern. «Alles ist schon sehr konkret, jetzt geht es noch um die Inneneinrichtung, die Details», erzählt sie, ohne preiszugeben, wo ihr neues Domizil sein wird. Nach fünfzehn Jahren an der PDAG freue sie sich auf den Wechsel. «Dennoch kann ich meine langjährigen Patientinnen und Patienten weiterbegleiten», sagt sie. «Und auch einige neue dazu nehmen.» Sie fühle sich fit und jung und freue sich auf die weiteren Arbeitsjahre über die Pensionierung hinaus.
Umbrüche im Leben ist Angelika Curti gewohnt. Durch ihren Beruf hat sie gelernt, neuen Situationen und Themen mit grosser Offenheit zu begegnen. «Ich lerne ganz viel von meinen Patientinnen und Patienten – von Computergames bis hin zu Rap», erzählt sie. In der psychotherapeutischen Begleitung gehe es stets um ein Geben und Nehmen. «Ich weiss ja nicht, was gut ist für meine Patientinnen und Patienten», betont Curti. «Ich unterstütze sie vielmehr darin, selbst zu erfahren, was das Richtige für sie ist.» Diese Philosophie hat sie verinnerlicht. «Manchmal denkt man, man kenne die Lösung, und dann merkt man auf einmal, dass der Weg anderswohin führt», sagt die Ärztin. «Mit dem ‹Ich weiss, wie es geht› muss man sehr vorsichtig sein.» Immer wieder einen Schritt zurückzustehen und das Blickfeld zu öffnen, sei entscheidend. «Ich mag es, kreativ und offen zu denken.»
Diese Haltung bringt Angelika Curti seit siebzehn Jahren auch in den Einwohnerrat ein, wo sie für Die Mitte politisiert. «Ich bin eine Konsenspolitikerin», sagt sie. Das beginne schon in den Fraktionen, wo unterschiedliche Haltungen aufeinanderprallten und man einen Weg finden müsse. Dann gelte es, die Meinungen der anderen Parteien einzuholen und eine Mehrheit zu finden. «Die Mitte ist dafür eine gute Position», schmunzelt Curti und rückt ihre selbst gefertigte Mütze zurecht. Sie stricke gerne, sagt die Mutter dreier erwachsener Kinder – in Anlehnung an die bekannte strickende Psychiaterin «Madame Tricot».
Wie lange sie noch im Einwohnerrat bleibe, sei noch nicht entschieden, sagt Angelika Curti. Einerseits fände sie es gut, wenn Jüngere nachrücken könnten, andererseits bringe sie ihre grosse Erfahrung gerne ein. Auch sei entscheidend, ob sie am 12. März zur Bezirksrichterin gewählt werde. Austreten aus dem Einwohnerrat müsste sie aufgrund dieses neuen Amts zwar nicht, aber der Umgang mit der Gewaltentrennung und die zeitliche Mehrbelastung müsse gut bedacht werden, betont sie.
Vertraut mit rechtlichen Themen
Dass sich Angelika Curti fürs Bezirksrichterinnenamt zur Verfügung stellen will, hat viele Gründe. Zum einen ist da das Interesse für die Menschen und ihre Geschichten. Einen Einblick in die Abgründe der Seele zu erhalten, ist die forensische Psychiaterin gewohnt. «Die Schattenseiten gehören zum Leben», ist sie überzeugt. In ihrem Job lerne sie Menschen aufgrund der Beurteilung im Rahmen der Strafuntersuchung kennen. «Und nach dem Entscheid des Gerichts kommen sie wieder zu mir», erzählt sie. Was ihr noch fehle, sei die Etappe dazwischen – der Prozess der Urteilsfindung. «Es würde mich interessieren, dort dabei zu sein.» Im Kollektiv des Laienrichteramts ihre Erfahrung und ihre Sichtweise einzubringen, könne sie sich gut vorstellen. Durch ihren Beruf seien ihr auch die rechtlichen Begriffe sehr vertraut. «Ich bin ein grosser Fan des Schweizer Rechtssystems, das auf der Gewaltentrennung basiert und, gehalten durch den Rahmen des Regelwerks, einen wertvollen Spielraum bietet», betont sie – und fügt an: «Wichtig ist bei einem Bezirksrichterinnenamt nicht, dass man gut reden kann.» Wichtig sei im Gegenteil, dass man gut zuhören könne.
Man müsse sich in überschaubarer Zeit einen Eindruck beschaffen vom Sachverhalt und von den Personen, die involviert sind. Das ist Angelika Curti gewohnt. «Jeder Mensch ist anders, jede Situation ist anders», sagt sie. «Ich bin geübt darin, mir in kurzer Zeit einen Überblick zu verschaffen.» Zum einen gelte es, die Akten sorgfältig zu studieren und analytisch vorzugehen. Zum andern seien aber auch Erfahrung im Umgang mit den Menschen und Bauchgefühl gefragt. «Es braucht immer beides – die Objektivität und eine Prise Instinkt.» Das Letztere könne man nicht lernen. «Aber man kann lernen, das eine vom andern zu trennen.» Durch ihre Ausbildung sei sie geschult darin, ihre eigenen Emotionen und Reaktionen zu erkennen – und sich wieder davon zu lösen. «Mich immer wieder in eine neutrale Position zu bringen, fällt mir leicht», erklärt sie. «Dafür bin ich ausgebildet, und darin bin ich erfahren.»
Grösstmögliche Objektivität
Spricht Angelika Curti über ihr Interesse für das Amt als Bezirksrichterin, tritt nicht nur ihre Begeisterung für diese neue Tätigkeit zutage, es wird auch deutlich: Sie hat sich gut überlegt, warum sie zur Wahl antritt. Die verschiedenen Sichtweisen der Involvierten anzuhören und im intensiven Gespräch mit ihren Kolleginnen und Kollegen vom Bezirksgericht einen Konsens zu finden: Diese Herausforderung würde die Bruggerin gerne annehmen – im tiefen Wissen darum, dass es die absolute Wahrheit nicht gibt. «Wahrheit ist immer subjektiv», sagt die langjährige Einwohnerrätin. «Jeder Mensch sieht die Dinge anders.» Vor Gericht gelte es dann, «das zusammenzutragen, was der Objektivität am nächsten kommt». Dieser Prozess brauche Zeit – und Geduld. Auch etwas, das sie in ihrem Job gelernt hat. «Da geht es oft zwei Schritte vorwärts und einen zurück», lacht sie – und fügt an: «Dabei den Mut nicht zu verlieren, wieder aufzustehen und optimistisch zu bleiben, ist oft ein Knochenjob.» Und damit eine dieser Herausforderungen in ihrem Leben, die Angelika Curti freudvoll anpackt.