Der Vespa-Flüsterer

Giuseppe Biasco (48) hat mit der Vespa-Ranch in Turgi seine Passion zum Beruf gemacht. Der Kultmotorroller ist für ihn Emotion pur.
Sein Herz schlägt für Motorroller mit Patina: Giuseppe Biasco schraubt an einer Vespa Sprint von 1965. (Bild: rhö)

Das bald hundertjährige Einfamilienhaus an der Landstrasse 21 in Turgi, gegenüber der Wildenstich-Abzweigung in Richtung Bahnhof, würde wohl niemandem so auffallen, wenn es im Garten von Blumen und nicht von verschiedenfarbigen Vespas unterschiedlichen Baujahrs wimmeln würde. Die italienischen Designikonen ziehen die Blicke jedoch auf sich und wecken die Neugier, was es mit der Vespa-Ranch auf sich hat.

Ihr Herz schlägt in der Werkstatt hinter dem Haus und gehört Giuseppe und Diana Biasco. Die Vespa-Begeisterung des in Zürich aufgewachsenen Secondos wurde schon in seiner Kindheit entfacht, als die Familie die Sommerferien bei den Grosseltern und Verwandten in Apulien verbrachte. Die Piaggio Vespa, Lambretta und die dreirädrige Piaggio Ape gehörten dort zu den rolle(r)n-den Bestandteilen des Strassenbilds. «Ich weiss noch gut, wie überladen mit Gepäck und Menschen sie oft waren. Ich wunderte mich, wie sie überhaupt vom Fleck kamen», erinnert sich Biasco.

Familiengründung und Selbstständigkeit
Als Teenager schraubte Biasco Tag und Nacht an den Mofas, die in der Schweiz verbreiteter waren, und machte dann eine Auto- statt eine Motorradmechaniker-Ausbildung, weil diese ein umfassenderes Wissen vermittelt. Daneben widmete er sich aber weiterhin allen motorisierten Zweirädern. Vom geliebten, aber überteuerten Zürich zog er mit seiner Ehefrau Diana (48) zwecks Familiengründung und Kauf einer Immobilie in den Aargau, wo er sich darauf spezialisierte, jüngere und ältere Vespas wieder flottzubekommen. «Als ich sah, wie viel Know-how Giuseppe schon besass und wie viele Aufträge er bekam, schlug ich ihm vor, dass wir uns selbstständig machen», erzählt die gebürtige Ostschweizerin mit italienischen und deutschen Wurzeln, die in der auch Scuderia Biasco benannten Firma für Administration und Finanzen zuständig ist. «Wie bauten auf dem Areal eine Werkstatt und eröffneten 2012 die Vespa-Ranch.»

Wie vor dem Haus steht auch auf dem Kiesplatz vor der Werkstatt ein Roller neben dem anderen. Dabei handelt es sich meist um Oldtimer, Veteranen oder Gebrauchtfahrzeuge, die auf einen Service, eine Reparatur, eine professionelle Restauration oder den Verkauf warten. «Fabrikneue Modelle sind nicht mein Kerngeschäft», erklärt Biasco. «Ein spezieller Showroom würde zu viel Geld kosten. Moderne Vespas sind bequeme, zuverlässige und sichere Fortbewegungsmittel, wecken aber bei mir keine Emotionen.» Einzig bei der E-Vespa ärgert er sich doch darüber, dass die kleinen Batterien einen momentan noch zwingen, sich schon nach zwanzig Kilometern zu überlegen, wo man sie wieder laden kann. «Ich finde es jedoch richtig, dass auch Klassiker mit der Zeit zu gehen versuchen.»

Vorliebe für ein «breites Füdli»
Biasco liebt die alten Vespas aus ganz unterschiedlichen Gründen. «Mir gefällt der Gestank und das Knattern der Motoren, das sie unverwechselbar macht, sowie das Design der Fünfzigerjahre, als sie noch ein breites Füdli hatten», verrät er schmunzelnd. Ganz besonders fasziniert ihn die Technik, die theoretisch einfach ist, in der Praxis aber viel Tüftelei und Sachverstand erfordert, damit sie funktioniert. Da Ersatzteile für Oldtimer rar sind, braucht die Beschaffung oft viel Zeit und zwingt Biasco, zwischen den diversen Vespas, an denen er arbeitet, hin und her zu wechseln. Wenn ihn die Qualität der Lieferung nicht überzeugt, stellt der Perfektionist sie manchmal sogar selbst her.

Sein Ruf als «Dr. Vespa», zu dem Rollerliebhaber aus der ganzen Schweiz und dem nahen Ausland mit ihren Patientinnen pilgern, trug dem Paar schon mehrere Angebote ein, die Vespa-Ranch auszubauen und in eine offizielle Markenvertretung zu verwandeln. «Ich strebe nicht nach Grösse, will nicht, dass wir uns verschulden müssen und abhängig machen, sondern möchte mir selbst treu bleiben», betont Giuseppe Biasco. «Es geht mir nicht nur ums Geldverdienen. Ich will die Kunden verstehen und so beraten, dass sie mit einem Lächeln nach Hause fahren. Sie sind auch willkommen, wenn sie nur auf einen Kaffee vorbeischauen.»

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Vespa-Schaltplan: Tattoo für Vergessliche.

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30 bis 50 Jahre alt: Vespa N50, PX 125 und PK 125.

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Starkes Vespa-Ranch-Gespann: Diana und Giuseppe Biasco. (Bilder: rhö)

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Ehefrau bevorzugt deutschen Roller
Obwohl der Vespa-Flüsterer früher Autorennen fuhr, geht es ihm nicht darum, die Roller schneller zu machen. Sie sollen schöner und fahrbarer werden, insbesondere leichter zu schalten und technisch einwandfrei sein. Mit den Automatikversionen kann er – im Gegensatz zu seiner Frau – nicht viel anfangen. Wenn Biasco mit ihnen eine Probefahrt machen muss, schlafen ihm beinahe die Füsse ein. «Trotzdem ist ein solches Modell für manche Kunden genau richtig oder eine moderne Vespa besser als ein Oldtimer», stellt er klar. «Ich bin kein Dogmatiker. Es kommt immer auf den Menschen und den Verwendungszweck an.»

Biasco macht in seiner Freizeit keine langen Vespa-Touren mehr, höchstens einen kleinen Sonntagsausflug. Sogar einer wie er braucht mal eine Auszeit. «Schliesslich habe ich eine Frau, zwei Kinder, einen Hund, ein Pferd und treibe gern Sport …» In seiner Sechstagewoche als Schrauber kommt immer wieder das eine oder andere zu kurz. «Wegen der Ersatzteilknappheit während und nach der Pandemie bin ich mit den Aufträgen so in Verzug, dass ich es noch nicht geschafft habe, den Roller zu restaurieren, den sich meine Frau gewünscht hat», gesteht Biasco. Es liegt also nicht daran, dass er beleidigt ist, weil sie der Vespa eine deutsche Dürkopp vorgezogen hat. Giuseppe weiss, dass der Name des Modells entscheidend war: Diana.