Von der Alp auf die Musical-Bühne

Christian Gwerder ist im Sommer Bergbauer und im Winter Zimmermann. Vor zwei Jahren hat der 40-jährige Muotathaler auch die Welt des Musicals entdeckt und eine Ausbildung an einer Zürcher Musical- und Schauspielschule absolviert. Das habe in seinem Tal für Aufsehen gesorgt, erzählt Gwerder und fügt an: «Singen kann ich aber immer nur von Oktober bis April, denn im Sommer verbringe ich vier Monate mit 300 Rindern und 400 Schafen auf der Glattalp.» Im letzten Mai gab er sein Debüt beim Musical «1967» in Luzern, und im November bewarb er sich im Casting für das Musical «The Copyright Girl».

Komponist François Ruedin war sofort von Gwerder begeistert. «Ich wollte Christian unbedingt, weil er vom Typ her so speziell und anders ist – und gleichzeitig enorm professionell. Er konnte an der ersten Probe schon alles auswendig», schwärmt der Freienwiler. Dabei kann Gwerder gar keine Noten lesen: «Ich mache alles nach Gehör», gesteht der Älpler, dem eine Ähnlichkeit mit Hugh Grant oder George Clooney nachgesagt wird.

Gwerder ist einer von über hundert Bewerbern, von denen rund vierzig in die Auditions eingeladen wurden. Seit dem 6. März proben die sieben Hauptdarsteller täglich von Dienstag bis Sonntag sechs Stunden im ehemaligen Kino «Elite», das die Produktionsfirma «Free Town Entertainment» bis Ende Mai gemietet hat. Dort findet am 20. April auch die Premiere statt. Der Schwyzer pendelt zwischen Muotathal und Wettingen, um abends bei seiner Familie und den ­Tieren sein zu können. Während der Fahrt könne er aber gut üben. «Und oft», gesteht der zweifache Vater, «habe ich auf der Fahrt schon geweint – vor Freude! Es ist eine Ehre, dass ich mit solchen Profis auf der Bühne stehen darf.»

Zwei Welten, die sich inspirieren
Diese Kombination aus Laien und Profis sei aber genau das Faszinierende am «Copyright Girl», schwärmt der Luzerner «Profi» Adrian Burri (30), der seit 2014 in Berlin lebt: «Wir kommen aus zwei Welten und inspirieren uns gegenseitig. Dabei können wir Profis uns etwas von der Natürlichkeit der anderen abschauen und in die Rolle einfliessen lassen.» Burri hatte die Hauptrolle (Weltraumprinz Rodin) beim Revival von «Space Dream» in der Maag-Halle in Zürich. Dort sprach ihn Regisseur Benjamin Fröhlich an und lud ihn ans Casting von «Copyright Girl» ein. Nun steht Burri in Wettingen wieder gemeinsam mit zwei Space-Dream-Hauptdarstellern auf der Bühne: Deliah Stuker (28, Macchina) und Lucca Kleimann (28, Roboto). 

Auch Regisseur Benjamin Fröhlich (39) ist für die Produktion extra für vier Monate in seine alte Heimat zurückgekehrt – er ist in Mutschellen aufgewachsen und hat in Baden die Kantonsschule absolviert. Seit zehn Jahren lebt Fröhlich als freischaffender Schauspieler, Sänger und Regisseur in London. In den ersten Tagen der Proben ist ihm wichtig, dass alle ihre Figur mit den Szenen kennenlernen und am Text feilen. Und: «Meine Aufgabe ist es, Profis und Amateure zu einer Einheit zu formen. Auf der Bühne soll man keinen Unterschied merken», erklärt der Regisseur, der zusammen mit Autor und Komponist Ruedin den Charakteren und der Geschichte mehr Nuancen hinzugefügt und das Drehbuch bühnentauglich gemacht hat. Modernste mediale Technik ist ein wichtiger Pfeiler des interdisziplinären Projekts. Die Comics erscheinen auf einer grossen Leinwand und zwei seitlich positionierten Panels hinter den Protagonisten, die beiden Welten interagieren miteinander.

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Katharina Michel, MusicStar-Gewinnerin 2009.

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Regisseur Beni Fröhlich.

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Christian Gwerder, Älpler aus Muotathal. (Bilder: is)

Comicfigur wird lebendig
Die Story spielt in den 1920er-Jahren. In einem abgelegenen Schweizer Bergdorf entdecken drei Jugendliche ein Comic­heft aus Amerika und sind fasziniert von der unbekannten Welt – und von einer jungen Frau auf Seite 7. Geblendet von der Hoffnung auf Reichtum und eine bessere Welt, beschliessen sie, nach New York auszuwandern. Das «Copyright Girl» (Marisa Alu) wird lebendig, Pietro (Adrian Burri) verliebt sich Hals über Kopf in die Comicfigur. Ruedin wollte einen frankophonen, authentischen Comicautor. Seine Wahl fiel auf den Genfer Eric Buche, mit welchem er das Musical durchskizzierte. Derzeit gestaltet Buche Comicszenen und Bühnenbild gemäss dramaturgischen Entwürfen von Regisseur Fröhlich.

Zurück zu Christian Gwerder. Die Story habe ihn berührt und passe gut zu ihm, findet der Schwyzer, «denn auch ich komme aus einem Bergdorf und breche aus meiner Welt aus». Zudem sei sein Urgrossvater ebenfalls in die USA ausgewandert und kam, wie die drei Jugendlichen, am New Yorker Hafen in der neuen Heimat an.

Premiere für MusicStar-Siegerin
Christian Gwerder spielt die Rolle des Bösewichts «Dandoy», was zwar nicht seinem Naturell entspreche: «Aber die Lieder packen mich immer mehr.» Dagegen hatte Katharina Michel (34) schon lange den Wunsch, eine Bösewichtin zu spielen. Nun kann sie dies als «Trivia», dem «Boss der Gang», verwirklichen. Die Siegerin der vierten Staffel der Schweizer Castingshow MusicStar (2009), die als selbständige Moderatorin und Musikerin unterwegs ist, spielt zum ersten Mal bei einem Musical mit. «Ich freue mich sehr auf dieses riesige Abenteuer», sagt die Berner Oberländerin: «Und ich sehe es auch als Chance, in eine weitere Musikrichtung vorzudringen.»

In einem Graphic Musical hat bisher noch keiner der Beteiligten mitgespielt – und auch in einem Kinosaal aufzutreten, ist Neuland für alle. Die Bühne hier ist kleiner als im Theater. Da ist Ideenreichtum gefragt. Die vierköpfige Band wird auf einem erhöhten Podest spielen, und anstelle des fehlenden Backstage-Bereichs wird kurzerhand eine Treppe in den Bühnenuntergrund hinab gebaut.

Die Investitionen sollen sich aber lohnen. Gemäss Produktionsleiter Roli Isler plant die Freetown Entertainment, das «Elite» für eine zweite Produktion noch länger zu mieten – und so das Kino vorerst vor dem Abriss zu bewahren.