Das Notkraftwerk mit acht mobilen Öl-/Gasturbinen und 250 Megawatt Leistung, das für den Fall einer Strommangellage in der Rekordzeit von sechs Monaten auf dem Fabrikgelände der General Electric in Birr realisiert worden ist, wäre einsatzbereit, wie das Bundesamt für Energie (BFE) letzte Woche bekannt gab. Doch nun folgen auf die Bauleute zunächst die Juristen. Denn gegen die Betriebsbewilligung wurden elf Einwendungen erhoben. Das eidgenössische Umwelt- und Energiedepartement (Uvek) lehnte sie am 20. März zwar alle ab, aber diesen Entscheid akzeptierte eine unterlegene Kraftwerkanwohnerin nicht und focht ihn mit einer Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen an.
Die Beschwerdeführerin wird von der jungen Klimastreik-Bewegung juristisch und finanziell unterstützt. Die Aktivisten hatten bereits zu Beginn der Bauarbeiten im Oktober in Birr eine Demonstration mit rund sechzig Personen gegen das Kraftwerk organisiert. Sie selbst seien nicht beschwerdeberechtigt, aber sie übernähmen die Kosten für die Beschwerdeführung, wie ihr Sprecher Jonas Kampus auf Anfrage erklärte. Die finanziellen Mittel beschaffen sie sich durch Spenden.
«Unnötiges Notkraftwerk»
Das Begehren an das Bundesverwaltungsgericht lautet, die Bewilligung zur Inbetriebnahme des fossilen Reservekraftwerks sei zu verweigern. Erstens entspreche die Anlage nicht den im Landesversorgungsgesetz (LVG) formulierten besonderen Anforderungen für Notmassnahmen. In Artikel 32 LVG heisst es: «Im Fall einer unmittelbar drohenden oder bereits bestehenden schweren Mangellage kann der Bundesrat zeitlich begrenzte wirtschaftliche Interventionsmassnahmen ergreifen, um die Versorgung mit lebenswichtigen Dienstleistungen sicherzustellen.» Aber eine unmittelbare oder schwere Strommangellage habe nicht bestanden, argumentieren die Beschwerdeführerin und die Klimastreik-Bewegung.
Zweitens überschreite das Werk mit seinen voraussichtlichen Emissionen die geltenden Grenzwerte für Schadstoff- und Lärmbelastungen und stelle eine gesundheitliche Gefährdung der lokalen Bevölkerung dar. Tatsächlich lockerte der Bundesrat mit notrechtlichen Ausnahmeregelungen die Luftreinhaltungs- und Lärmschutzbestimmungen. Er änderte zudem die ordentlichen Bewilligungsverfahren, setzte kantonales Recht vorübergehend ausser Kraft und entzog im Voraus sämtlichen Einwendungen gegen den Bau und den Betrieb die aufschiebende Wirkung. Damit wollte er die rasche und rechtzeitige Erstellung des 470 Millionen Franken teuren Bauwerks gewährleisten.
Demgegenüber vertritt die Klimastreik-Bewegung den Standpunkt, dass die Stromversorgungssicherheit der Schweiz zum Zeitpunkt, als sich der Bundesrat zur dringlichen Erstellung des Reservekraftwerks Birr entschloss, nicht gravierend gefährdet war. Nach der Meinung der Notkraftwerkgegner hätte eine allfällige Strommangellage daneben mit milderen Mitteln als mit einer «dreckigen» fossilen Energiequelle abgewendet werden können. Etwa durch das Zurückhalten von mehr Wasser in Stauseen, vermehrte Anstrengungen beim Stromsparen, engere Zusammenarbeit mit den umliegenden europäischen Staaten, Einsparungen mit technischen Massnahmen und den Ausbau der erneuerbaren Energien.
Notrecht und Emissionen
Der Bundesrat sah sich aber im letzten Spätsommer zu raschem Handeln veranlasst, weil eine Stromlücke gegen Ende des bevorstehenden Winters nicht auszuschliessen war. Denn wegen des Ukrainekriegs wurde das Gas in Deutschland knapp. Und Frankreichs Kernkraftwerkpark, auf dessen Strom die Schweiz im Winter zwingend angewiesen ist, stand wegen versäumter Revisionsarbeiten im dümmsten Moment zur Hälfte still. Ausserdem waren die einheimischen Stauseen wegen des trockenen Sommers unterdurchschnittlich gefüllt. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, entschied sich der Bund deshalb kurzfristig für den Bau des Reservekraftwerks in Birr. Dass die befürchtete Strommangellage nicht eintraf und die neue Anlage vorerst nicht gebraucht wurde, ist vor allem dem milden Winter zuzuschreiben.
Das Bundesverwaltungsgericht wird sich nun also mit der Frage beschäftigen müssen – sofern es überhaupt auf diesen Punkt eintritt –, ob der Bundesrat die Versorgungssituation im letzten Herbst richtig eingeschätzt und aus gutem Grund mit Notrecht interveniert habe. Das ist wohl eher ein politischer als ein rechtlicher Aspekt, weil für ausserordentliche Massnahmen eine grundsätzliche Kompetenzregelung besteht. Wer nach dem Grundsatz «Vorsorge schützt vor Sorge» handelt, riskiert allenfalls, über das Ziel hinauszuschiessen – zumindest vorläufig. Denn Fachleute warnen davor, dass die Versorgungslage nicht gebannt sei und unter Umständen im nächsten Winter kritischer werden könnte.
Aufgrund der Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht auch die Schadstoff- und Lärmbelastungen des Notkraftwerks zu beurteilen – und da würde man eventuelle gerichtliche Anweisungen nicht ausschliessen wollen. Klar ist, dass die Grenzwertvorschriften für eine bestimmte Zeit ausser Kraft gesetzt wurden. Inzwischen sind Massnahmen zur Emissionsbegrenzung getroffen oder in die Wege geleitet worden, wie die Erhöhung der Lärmschutzmauer von acht auf zwanzig Meter und die Kaminummantelung der Turbinen. Vorläufige Lärmmessungen ergaben etwas geringere Lärmwerte als angenommen. Sie lagen zuletzt noch bei einem der Langhäuser der Grossüberbauung In den Widen über dem Grenzwert. Bei der Schulanlage Niedermatt hielt sich der Lärmpegel des Kraftwerks im tolerierten Bereich.
Ablösung durch Festanlage?
Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht dürfte vorderhand keine Betriebsauswirkungen auf das Notkraftwerk haben, weil es derzeit nicht gebraucht wird. Immerhin geht der Testbetrieb weiter. Nun wird die Umstellung von Dieselöl auf Erdgas geprobt. Der Bund will noch im Laufe dieses Jahres die Erstellung eines neuen definitiven Gaskraftwerks ausschreiben. Sein Standort ist offen, doch dürfte Birr wieder eine Option sein – dann auf der Südseite des Fabrikkomplexes von General Electric und Ansaldo, wo sich bereits die beiden Prüfstände der Turbinenherstellerin Ansaldo befinden. Das mobile Reservekraftwerk auf der Nordseite des Fabrikgeländes soll Ende 2026 zurückgebaut werden. Die Gemeinde Birr warte immer noch auf die Überweisung des ihr zugesicherten Standortbeitrags von vier Millionen Franken, wie Gemeindeammann René Grütter auf Anfrage bestätigte und meinte: «Die Mühlen in Bern mahlen etwas langsam.» Weiterverfolgt hat der Gemeinderat Birr das Projekt für ein Wandbild an der dominanten Lärmschutzwand und dafür 18 Vorlagen ausgelesen. Die Kosten übernimmt die General Electric GmbH. Weil der Wandschmuck ganz nahe an der Kantonsstrasse angebracht würde, wird die Meinung des Kantons, ob das Verkehrsteilnehmer ablenken könnte, eingeholt.