Aufs Buchgefühl hören – und weiterlesen

Der Kanton unterstützt die Sprach- und Leseförderung in einem Kooperationsprogramm mit Bibliotheken. In Lupfig las eine Autorin aus ihrem Buch.
An der Lesung mit Melanie Gerber erfuhren die Kinder, wie viele Berufe bei einer Buchentstehung mitwirken. (Bild: CD)

In ausgewählten Aargauer Bibliotheken, die als Gastgeberinnen fungieren und einen Veranstaltungsort mit authentischer Kulisse bieten, lesen im Rahmen der kantonalen Bibliotheksförderung Schriftstellerinnen und Schriftsteller für Schulklassen aus ihren Büchern. Am letzten Freitag trat Kinderbuchautorin Melanie Gerber vor die Schulklassen der Unterstufe der Schule Lupfig. In der schönen Bibliothek Eigenamt stellte sie ihr neues Buch «Das Jahr, in dem wir schwimmen lernten» vor. Zuerst las die Autorin für eine erste und zweite Klasse, im Anschluss für Kinder aus der vierten und fünften Klasse. Am Montag zuvor war sie mit zwei weiteren Lesungen für die Unterstufe in Birr in der Bibliothek Eigenamt aufgetreten.

Überzeugendes Format
Doris Trachsel, Leiterin der Bibliothek Eigenamt, war vor gut drei Jahren auf das Projekt aufmerksam geworden und hat die Schulen Lupfig und Birr ins Boot geholt. «Das Format ist sehr überzeugend», sagt Trachsel. «Die Kinder erleben die Jugendbuchschaffenden eins zu eins und gehen dadurch noch mehr ‹auf Buchfühlung› mit der Literatur», so die Bibliotheksleiterin. «Wir von der Bibliothek spüren den Effekt nach einer Lesung eindeutig», hat Trachsel festgestellt. «Die Kinder leihen dann vermehrt die Bücher aus, die sie kennengelernt haben, das animiert sie ungemein zum Lesen.» Die Bibliothek Eigenamt führt die Lesungen dieses Jahr zum dritten Mal durch. «Sie stiessen von Anfang an auf grosse Begeisterung bei den Schulkassen und Lehrpersonen», berichtet Trachsel, die mit dem Projekt vor allem die Altersgruppen der Unterstufe ansprechen möchte. «Bei den Sekundarstufen kommt der Comic-Workshop ‹Auch du kannst Comics zeichnen!› sehr gut an, den wir am 4. Mai mit zwei Sekundarklassen der Kreisschule Oberstufe Eigenamt durchführen werden», erklärt Trachsel.

Bücherberufe vorstellen
Die Kinderbuchautorin Melanie Gerber gestaltete die «Buchfühlung»-Lesung interaktiv. Die 38-Jährige erklärte, dass eine Mischung aus eigenen Erlebnissen und Fiktion den besten Stoff für Bücher bilde. Sie erzählte zur Veranschaulichung drei kurze Episoden, von denen nur eine sich wirklich so zugetragen hat, aber alle in ihrem neuen Buch vorkommen.

Die von Karin Widmer illustrierte Geschichte handelt vom elfjährigen Tim. Seit Alia mit ihrer Familie in die Wohnung über ihm einzog, ist er vom Mädchen mit den schwarzen Locken fasziniert. Doch es ist nicht leicht, den Kontakt zu Alia zu finden. Sie ist aus Syrien geflüchtet und muss sich im völlig fremden Land erst noch zurechtfinden. Da findet Tim heraus, dass Alia gar nicht schwimmen kann, und ist fest entschlossen, ihr dabei zu helfen, es zu lernen. Stück für Stück nähern sich die beiden Kinder trotz kultureller und sprachlicher Hürden an, während Tims eigene Welt aus den Fugen gerät. Zum Glück ist Alia da, die ihm zeigen kann, wie man sich in schwierigen Zeiten über Wasser hält.

Sichtbarer Entstehungsprozess
Während der Lesung gibt die Autorin immer wieder Einblicke in ihr Schaffen und teilt Hintergrundinformationen darüber, wie ein Buch überhaupt entsteht. Anschaulich stellt sie dar, wie viele und welche Berufe dabei involviert sind. Die Schülerinnen und Schüler überlegen sich, in welcher Reihenfolge die Verlegerin, die Lektorin, der Illustrator oder die Korrektorin und der Lagerist aktiv werden, bis ein Buch da ist. «Wie lang, denkt ihr, dauert es, bis man ein Buch in der Bibliothek ausleihen oder im Buchladen kaufen kann?», fragt Gerber in die Runde und nimmt die Antworten der Eleven entgegen. «Durchschnittlich ein bis zwei Jahre vergehen von dem Moment, in dem man das Manuskript fertig geschrieben hat, bis das Buch fertig ist», erzählt sie und bringt Beruf und Buch durch die Schilderungen aus ihrem Alltag auf Tuchfühlung mit der jungen Leserschaft.

Dann sind die Kinder aufgefordert, ihren eigenen Wunschberuf auf ein Etikett zu schreiben und sich auf den Pullover zu kleben. Die Autorin stellt den Kindern verschiedene Fragen zu den Berufswünschen, bevor sie wieder aus ihrem Buch vorliest und die Kinder gespannt lauschen. Zur Auflockerung bittet Gerber die Schulklassen, einander eigene kleine Geschichten zu erzählen, von denen manche wahr, andere erfunden sind. In der Bibliothek schwirren Satzfetzen umher, einige Kinder begleiten ihre Schilderungen im Erzählfeuer mit überschwenglichen Gesten. Dann liest die Kinderbuchautorin einen letzten Abschnitt vor und bricht gekonnt in einem spannenden Moment ab. Wer will da nicht wissen, wie es weitergeht?

Die Person hinter dem Text
Wie Bibliotheksleiterin Trachsel ist auch Autorin Melanie Gerber vom Projekt begeistert. Sie ist dieses Jahr in drei verschiedenen Bibliotheken zu Gast, zusammen mit sechs weiteren Kinder- und Jugendbuchschaffenden, die von März bis Juni für die «Auf Buchfühlung»-Lesetour in insgesamt 13 Aargauer Bibliotheken zu Gast sind.

«Total sind es 74 Lesungen», informiert Doris Trachsel. «Die Schulklassen kommen in den Genuss von Literatur und lernen die Menschen hinter den Texten und Illustrationen kennen und die Bibliothek schätzen.» Denn wo lässt es sich besser in Bücherwelten eintauchen als zwischen Regalreihen voller spannender Geschichten?