Christine Künzli David forscht seit über zwanzig Jahren zum Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die ehemalige Primarlehrerin leitet das Institut Kindergarten-/Unterstufe an der Pädagogischen Hochschule FHNW. Ihre Leidenschaft für das Thema war zu spüren an der zweiten von sechs Veranstaltungen der Reihe «Bildung für eine Welt von morgen», welche die PH FHNW zusammen mit dem Bildungsnetzwerk Aargau Ost organisiert.
Nachhaltige Entwicklung ist einerseits komplex. Für das «gute Leben» der nachfolgenden Generationen ist nicht nur die Klimakrise zu meistern, sondern auch der Wohlstand aufrechtzuerhalten und die soziale Gerechtigkeit zu wahren. Einen Zielkonflikt gibt es andererseits bei der Rolle der Bildung für die Vermittlung von nachhaltiger Entwicklung. Das Bild der Schule als «Reparaturwerkstatt der Gesellschaft», so Christine Künzli David, manifestiere sich in Lehrmitteln, die sehr konkrete Probleme bewirtschafteten, etwa die Rettung der Eisbären. Demgegenüber stehe der Lehrplan 21, der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) viel abstrakter als Befähigung junger Menschen versteht, sich als eigenständige Personen in der Welt zurechtzufinden, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv an gesellschaftlichen Aushandlungs- und Gestaltungsprozessen in Sachen Nachhaltigkeit zu beteiligen.
Nachdenken über gute Schuhe
Kinder müssen zwar die Welt nicht retten, aber in der Schule angeregt werden, «Visionen im Hinblick auf nachhaltige Entwicklung zu entwickeln und zu reflektieren», so Künzli David. Sie berichtete von einer konkreten Unterrichtsumgebung im Kindergarten. Die Ausgangsfrage «Was ist ein guter Schuh für mich?» knüpft an den Alltag an. Indem die Kinder darüber nachdenken, gelangen sie zu Anschluss-fragen: Was ist für andere an Schuhen wichtig? Woher kommen Schuhe eigentlich, und wie werden sie hergestellt? Über Interviews mit Bezugspersonen, einen Schuh-«Verkäuferliladen» und den Besuch bei einem Schuhmacher bauen die Kinder Wissen auf, das sie schliesslich zu adäquaten Antworten auf die Schlussfrage «Was ist ein guter Schuh für alle?» befähigen soll.
Auf dem Podium wurde namentlich die Umsetzung solcher BNE-Konzepte diskutiert. Bernhard Schüssler, Schulleiter auf der Primarstufe in Brugg, gab zu bedenken, dass Spracherwerb, Umgangsformen und Konfliktbewältigung am Anfang der Schullaufbahn oft im Vordergrund stünden. Bei sehr unterschiedlichen Startbedingungen gelinge BNE, wenn überhaupt, in kleinen Schritten und nur mit dem Zutun des individuellen Umfelds, im Idealfall der Eltern als gute Vorbilder. Bildungspolitikerin Ruth Müri, Stadträtin in Baden, wies auf den grossen Gestaltungsspielraum der Gemeinden hin, die Schulgärten bauen, Gelder für Exkursionen sprechen und ausserschulische Lernorte berücksichtigen könnten.
Gewohnte Denkwege verlassen
Patrick Isler-Wirth, Abteilungsleiter Volksschule im Aargauer Bildungsdepartement, weiss um den Vorbereitungsaufwand, den BNE-Unterrichtseinheiten bedeuten können. Perfekte Lerninhalte erwartet der ehemalige Lehrer aber nicht: «Der Umgang mit Unsicherheiten ist genauso wichtig.» Deshalb sollte an der Volksschule mehr über das Lernen an sich gesprochen werden. Oder wie Christine Künzli David ihr Unterrichtsideal für nachhaltige Entwicklung ausdrückte: «Angeregt gewohnte Denkwege verlassen und in verschiedenen Zukünften denken.»
Veranstaltungen: bnaargauost.ch