Haben Sie auch manchmal das Gefühl, dass der Wahnsinn einen Sättigungsgrad erreicht hat wie jener einer Mastgans zu Ostern? Und schon kommt das Nächste um die Ecke und lacht uns höhnisch ins Gesicht. So ists mir jedenfalls ergangen, als ich kürzlich in einer Tageszeitung las, dass sich eine amerikanische Schauspielerin selbst geheiratet hat. Ja, Sie haben richtig gelesen. Natürlich hat sie alles medienwirksam inszeniert. Wie ich herausgefunden habe, gibts sogar einen Fachbegriff für Selbstheirat: Sologamie. Ich würde es allerdings eher als Narzissmus betiteln, doch was weiss ich schon.
Wenn es darum geht, Likes auf Instagram zu sammeln oder Karriereziele zu verfolgen, steckt wohl in allen von uns ein kleiner Narzisst. So hat sich Narzissmus zu einem integralen Bestandteil unserer modernen Gesellschaft entwickelt. Wir sehen es täglich in der Art und Weise, wie Menschen ihr Leben auf Social Media präsentieren und wie sie sich auf Karrieren konzentrieren, von denen sie sich Ruhm und Anerkennung versprechen.
Ein zu stark ausgeprägter Narzissmus hat negative Auswirkungen: Die Besessenheit, Aufmerksamkeit und Bewunderung von anderen zu bekommen, kann süchtig machen. Die übermässige Betonung von Individualismus und Selbstbezogenheit schwächt die sozialen Bindungen und die Solidarität in der Gesellschaft.
Da stellt sich mir folgende aktuelle Frage: War der Narzissmus einiger Protagonisten ein Grund für den Untergang der Credit Suisse (CS)? Nehmen wir als Beispiel Tidjane Thiam, den ehemaligen CEO der CS. Er wird beschuldigt, den Fokus der Bank zu sehr auf Wachstum und Expansion gelegt und dabei das Risikomanagement vernachlässigt zu haben. Es wurde auch berichtet, dass er persönlich sehr stolz auf den Erfolg der Bank gewesen sei und sich für unverwundbar halte. Das klingt sehr nach Narzissmus, finden Sie nicht?
Vielleicht können wir in naher Zukunft darüber lesen, wie Vertreter der ehemaligen CS-Führungsriege sich selbst geheiratet haben. Es bleibt spannend.
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