Tempo 30 – das neue «Generell»?

Der VCS Aargau hat mit Flyern und Balkonfahnen eine Kampagne für Temporeduktionen auf Hauptstrassen gestartet.
Gilt Tempo 30 künftig innerorts auch auf stark befahrenen Hauptstrassen wie der Bruggerstrasse in Baden? (Bild: bkr)

Dass sie den Weg zu einem «siedlungsverträglichen Verkehr» beschreiten wollen, zu dem Tempo 30 gehört, daran liessen die VCS-Mitglieder an ihrer Jahresversammlung in Baden keinen Zweifel aufkommen. Wie das Ziel planerisch und im Fall der Fälle auf dem Rechtsweg erreicht werden kann, wurde in zwei Referaten aufgezeigt. Ruedi Häfliger ist Verkehrsplaner, ehemaliger Dozent an der Zürcher Fachhochschule und gilt als Fachexperte für Tempo 30. Welche Vorgaben müssen für Tempo 30 erfüllt sein? Häfliger: «Tempo 30 darf aus drei Gründen umgesetzt werden: für mehr Sicherheit, einen besseren Verkehrsfluss und eine Reduktion der Lärm- und Schadstoffemissionen.» Seit Anfang dieses Jahres lässt der Gesetzgeber zudem Tempo-30-Zonen zur Erhöhung der Lebensqualität zu. Bei den Lärmemissionen lasse sich mit Tempo 30 eine Reduktion um rund 50 Prozent erzielen, erläutert der Verkehrsexperte.

Tempo 30 und der ÖV
Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen? Das ist ein Ziel, das die Stadt Zürich flächendeckend verfolgt und für den Aargau ein Ansatz ist, den er auf der Aarauer Bahnhofstrasse in einem Versuchsbetrieb testen will. Tempo 30 bremst auch den ÖV. Dem Verband öffentlicher Verkehr (VöV) fehlt es in Tempo-30-Zonen nicht nur an Tempo, sondern auch an einer Priorisierung seiner Busse gegenüber Privatautos. Der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) geht davon aus, wegen Tempo 30 künftig mehr Busse und Trams einsetzen zu müssen, was mit massiven Mehrkosten verbunden sei. Dem widerspricht Planer Häfliger. Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen werde mittels eines Mehrzweckstreifens in der Mitte der Fahrbahn umgesetzt. Die Busse halten nicht in Buchten, sondern mitten auf der Strasse. Zudem gibt es im Gegensatz zu Quartierstrassen keinen Rechtsvortritt – eine Lösung, wie sie bereits heute mit Tempo 50 auf der Badener Mellingerstrasse existiert. Wo dies und der Wegfall von Rotlichtern nicht genügt, wird in einer Broschüre des VCS zu einer Reduktion der Haltestellendichte geraten.

Philanthrop und Vorkämpfer
Wie kann man Tempo 30 politisch und rechtlich durchsetzen? Daniel Brunner aus Zug gilt als Vorkämpfer für Tempo 30 auf lärmbelasteten Strassen. Der 63-Jährige ist kein Jurist, wie seine Beratertätigkeit in Sachen Initiativen, Beschwerden und Eingaben zu Tempo 30 vermuten lässt, sondern Völkerkundler, Philanthrop und Landis & Gyr-Erbe. «Tempo 30 kann sowohl vom Gemeinderat, von Interessenverbänden, von politischen Parteien als auch von betroffenen Anwohnenden angestossen werden», sagt er. «Daneben können alle, die in einem Gebäude leben, in dem der Lärmgrenzwert überschritten wird, Massnahmen fordern.» Das seien nicht in erster Linie Lärmschutzfenster: «Das Gesetz verlangt eine Sanierung an der Quelle», womit Brunner Flüsterbeläge und Tempo 30 anspricht.

Oft scheiterten Tempo-30-Vorhaben im demokratischen Prozess an den Kosten. Es sei richtig, dass der Schutz der Bevölkerung vor Unfällen und Lärm und die Erhöhung der Lebensqualität in der Gemeinde nicht gratis seien, bestätigt auch Brunner. Aber: «Tempo 30 kann einfach und pragmatisch umgesetzt werden. Es braucht dafür nicht zwingend bauliche Massnahmen, und Fussgängerstreifen können grundsätzlich belassen werden.» Das wirft die Frage nach der Akzeptanz bei den motorisierten Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern auf. Martin Brönnimann, Kommandant der Stadtpolizei Baden, sagt auf Anfrage, dass Tempo 30 dort, wo bauliche Massnahmen bestünden, in der Regel gut eingehalten werde. Mit lediglich signalisierten Strecken hat er aber keine Erfahrung, da es solche Streckenabschnitte im Zuständigkeitsgebiet der Stadtpolizei derzeit nicht gibt.