Siyani Nageswaran (18) hat es geschafft: Im März machte sie an der Kantonsschule Wettingen die Fachmatur Pädagogik. Im Herbst will die junge Frau das Lehrerinnenstudium beginnen. Dass sie die Fachmittelschule (FMS) absolvierte, ist rückblickend keine Selbstverständlichkeit. In der Oberstufe konnte die Realschülerin in die Sek wechseln. Für die FMS brauchte sie dort einen Notenschnitt von 5,3. Weil sie diesen zwar erreichte, im letzten Semester aber nicht bestätigen konnte, wurde sie zuerst nur provisorisch aufgenommen. Doch es kam gut.
Für den Aargau angepasst
Geholfen hat Siyani, deren Eltern einst aus Sri Lanka in die Schweiz kamen, das Förderprogramm Chagall. Dieses hat nichts mit dem berühmten Maler zu tun, sondern steht als Abkürzung für Chancengerechtigkeit durch Arbeit an der Lernlaufbahn. 2018 wurde das von einem Zürcher Gymnasium erprobte Programm von der Berufsfachschule Baden, der Kantonsschule Baden sowie den Bezirks- und Sekundarschulen Baden, Wettingen und Spreitenbach den Aargauer Verhältnissen angepasst. Sein Ziel: brachliegendes Bildungspotenzial von Jugendlichen aus bescheidenen ökonomischen Verhältnissen und mit fremdsprachigem Hintergrund besser ausschöpfen. Immer wieder zeigen Studien, dass Jugendliche aus privilegierten Familien dank Vorbildern und Unterstützung bessere Chancen haben. Chagall will also mehr Bildungsgerechtigkeit. Das Programm steht unter dem Patronat des Bildungsnetzwerks Aargau Ost.
Siyani war eine der ersten der mittlerweile 71 sogenannten Chagallerinnen und Chagaller. «Mein Klassenlehrer ermutigte mich dazu, und auch die Lehrerinnen in den Kursen haben mich stark unterstützt», sagt sie. Nach einem Aufnahmetest ging sie in der 3. Sek jeden Mittwoch in den Förderunterricht. Das Betreuungsteam besteht aus Lehrpersonen aus der Sek I und II für Deutsch, Mathe und Coaching. Siyani konnte sich nicht nur im Schulstoff verbessern: «Die Kurse sind daneben gut für die Motivation und den Stressabbau. Die Betreuerinnen haben mir ein Gefühl der Sicherheit vermittelt und mich mental gestärkt.» Sie denke sehr gern an die Chagall-Zeit zurück.
Mittlerweile ist die Pilotphase des Programms abgeschlossen. Die Fachhochschule Nordwestschweiz hat es evaluiert und kam zu dem Schluss: «Chagall Baden ist eine eindrückliche Erfolgsgeschichte.» 80 Prozent der Chagallerinnen und Chagaller gelang der Übertritt in eine Maturitätsausbildung oder in eine anspruchsvolle technische Lehre. 88 Prozent der Kursabsolventinnen und -absolventen erreichten das zweite Ausbildungsjahr.
Auffällig ist, dass alle Schülerinnen und Schüler der fünf abgeschlossenen Kurse einen fremdsprachigen Hintergrund haben. «Schweizer Jugendliche aus schwierigen familiären Verhältnissen vermag das Programm offenbar nicht zu erreichen.» Als erfreulich bewertet wird der Beitrag an die Integration von spätmigrierten Kindern. Die Hälfte der bisherigen Chagallerinnen und Chagaller wurde nicht hierzulande geboren, und zwei Drittel von ihnen kamen erst nach 2015 in die Schweiz.
KV-Schulen stärker einbinden
Indem die Finanzierung neu geregelt wird, bekommt Chagall nun einen festen Platz in der Bildungslandschaft. Für den Aufbau konnten Stiftungen und der kantonale Swisslos-Fonds gewonnen werden, bis 2025 übernimmt ein privater Gönner die Mehrheit der Kosten. Mit 1100 Franken pro Schüler, Schülerin und Jahr in der Pilotphase wird das Programm als kosteneffizient eingeschätzt. Ab 2026 wird es in den kantonalen Finanzplan aufgenommen.
Chagall wird weiterentwickelt: Aufgrund der grossen Nachfrage nach kaufmännischen Lehrstellen sollen die KV-Schulen stärker eingebunden werden. Und 2022 startete die Kantonsschule Wohlen mit Chagall, Aarau soll dieses Jahr folgen. Dank dem Verbund mit Förderprogrammen in anderen Kantonen im Netzwerk Allianz Chance+ ist sichergestellt, dass die Praxiserfahrungen mit Forschungserkenntnissen abgeglichen werden.
Siyani Nageswaran ist inzwischen auf der Suche nach einem Praktikumsplatz, um an der Pädagogischen Hochschule Zürich zugelassen zu werden. «Ich werde die FMS Wettingen mega vermissen», sagt sie. Ein Zeichen dafür, dass ihr Entscheid für Chagall damals goldrichtig war.
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