«Der Massstab 1:200 liegt mir»

Das Modellschiffbauen ist Gerold Brunners Steckenpferd. An der Ausstellung lässt er seine Preziosen vom Stapel laufen.
Gerold Brunner umringt von seinen Schiffen im Atelier, wo er unter anderem an einem «Titanic»-Modell baut. (Bild: cd)

An den Moment, in dem es um ihn geschehen war, erinnert sich Gerold Brunner ganz genau. Es war Liebe auf den ersten Blick und der Beginn einer grossen Leidenschaft, als er das italienische Passagierdampfschiff «An­drea Doria», Baujahr 1952, zum ersten und einzigen Mal in Genua sah. Als das Schiff 1956 nach einer Kollision sank und die Zeitungen über das Drama berichteten, war der damals 12-Jährige fassungslos. «Sie war eines der allerschönsten Schiffe der Welt», sagt der 78-Jährige. Auf den Reisen mit seinen Eltern in die Niederlande, nach Dänemark und Norddeutschland sah er als Jugendlicher andere Passagierschiffe – und war zunehmend fasziniert von deren Eleganz, Formschönheit und Ästhetik. Der Modellschiffbauer nennt diese Kriterien bis heute als ausschlaggebend dafür, dass er sich seinem Hobby mit Haut und Haar verschrieb. Jedes Mal, wenn er ein Passagierschiff erblickte, prägte er sich die opulenten Details ein, liess sich von der Charakteristik verzaubern, sammelte umfangreiches Wissen darüber und begann, die Schiffe nachzubauen, die er in den grossen Häfen hatte liegen sehen.

Detailversessenheit
Gerold Brunner erinnert sich nicht nur an die «Andrea Doria» in Genua. Die Erstbegegnung jedes der Dampfschiffe, die er in voller Grösse und Pracht sah, hat sich der Perfektionist mitsamt Jahreszahl gemerkt. «1960 in Bremerhaven war es die ‹Bremen›, 1966 die ‹France› in Le Havre», tönt es in seinem begeisterten Stakkato, während er erzählt. Brunners Eltern unterstützten die Faszination des Sohns. Die ersten Modellschiffe, die der damals 14-Jährige baute, waren Bausätze aus Plastik. «1960 hatte ich mein erstes ferngesteuertes Modellschiff», erzählt der gelernte Kaufmann, der in Zürich die Handelsschule besucht hat und zunächst mit Umdruckmaschinen beruflich tätig war. Als Betreuer von Distributoren und Endkunden für die Firma Eurodip reiste er um die ganze Welt. Japan, die USA, Skandinavien, England – Brunner war ständig unterwegs. Im Vereinigten Königreich lernte er 1969 seine norwegische Frau Rigmor kennen. Zu einer Zeit, in der das Reisen auf Passagierschiffen mehr und mehr vom Flugverkehr verdrängt wurde, übte der Schiffsfan seine Leidenschaft zunehmend intensiver aus. Zum Beruf machen wollte er seine Passion aber nie. Dem Charme der Dampfer war der gebürtige Zürcher privat längst erlegen. In seinem Haus in Villnachern richtete er sich eine Werkstatt ein und baute Modellschiff um Modellschiff mit immer grösserer Detailversessenheit.

Bis ein solches Modellschiff aus der Hobbywerft des Schiffsfans fertig ist, baut Brunner zwei bis drei Jahre daran. Bevor er loslegt, braucht es hingegen einiges an Vorbereitungszeit und Recherche – und die entsprechenden Schiffspläne. Dafür reist er bis heute auch mal in die Niederlande, nach Finnland oder Norddeutschland, oder er schreibt Reedereien und Werften in Italien, England und Skandinavien an, um an die Pläne zu gelangen. Über die Jahre sind so über 100 Baupläne zusammengekommen sowie eine Bibliothek mit rund 300 Fachbüchern, die er vor dem und während des Bauens konsultiert und dabei akribisch jede Einzelheit studiert. Auf seinen Modellen muss alles genau so aussehen wie auf den echten Schiffen. Anhand der Auf- und Seitenplanansicht und durch das Studium von Spantenrissen und Konstruktionsmerkmalen erkennt das geübte Auge des Freizeitschiffingenieurs, wie er bei der Anfertigung seines Modells vorgehen muss. Das Material dafür besorgt er sich in Modellbauläden, im Internet und für gewisse Kleinteile im 3-D-Druck. «All meine Modellschiffe baue ich im Massstab 1:200, der sagt mir am meisten zu», berichtet er, als er in seiner Werkstatt vor den schmucken Exemplaren der «Queen Elizabeth 2» oder der «Royal Viking Star» steht. Die Faszination für das und die grosse Liebe zum Detail sind deutlich erkennbar. «Es braucht extrem viel Geduld dafür», gibt er zu.

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Gerold Brunner in seiner Werkstatt. Derzeit baut er an einem Modell der «Titanic», hier ganz links im Bild auf dem Werktisch.

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Die Pläne in Originalgrösse besorgt sich der Modellschiffbauer von Werften und Reedereien aus aller Welt.

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An die hundert Pläne, die Gerold Brunner ordentlich aufbewahrt, zählt der Modellschiffs-Kapitän zu seinem Fundus.

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Wie auf dem richtigen Dampfer
Im Aargauischen Schiffsmodellbau-Klub ist Gerold Brunner seit 15 Jahren. Dieses Jahr treffen sich die Modellschiffkapitäne wieder am Schwimmbad Möriken-Wildegg zum traditionellen Schaufahren. Der kantonale Anlass zieht Modellbauer aus der ganzen Schweiz und dem Ausland an. Im Schwimmbad Möriken-Wildegg werden Schiffsmodelle aller Art und Hafenanlagen zu sehen sein. Modellschiffbauer Gerold Brunner hat noch nicht abschliessend entschieden, welche seiner Modelle er zu Wasser lassen wird. «Mit grosser Wahrscheinlichkeit die ‹Queen Elizabeth 2›, weil sie beleuchtet ist», sagt er abwägend. Die Überlegung kommt nicht von ungefähr: Am diesjährigen Schaufahren wird am Abend des ersten Tages ein Nachtfahren veranstaltet. Der Anblick der beleuchteten edlen Schiffe, die majestätisch übers Wasser gleiten, wird bestimmt ein Erlebnis, das nicht nur die Seemannsherzen der Modellschiffkapitäne rührt.

Samstag, 15. April, 11 bis 21 Uhr
Sonntag, 16. April, 10 bis 16 Uhr
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