In-Zwischen Räume blicken

Eine Baustelle wird zur begehbaren Kunst. Diese Idee haben vier Kunstschaffende in Brugg mit ihrem Projekt der Unvernunft umgesetzt.
Roland Reisewitz, Jacqueline Weiss, Renate Lerch und Brigitte Blaser in ihrer Wirkstätte. (Bild: cd)

Wenn sich vier Kunstschaffende in Brugg begegnen, könnte es sein, dass sie beschliessen, ein gemeinsames Projekt zu realisieren. So geschehen bei Brigitte Blaser, Renate Lerch, Jacqueline Weiss und Roland Reisewitz. Die Vernissage, die das erst kürzlich formierte Quartett morgen am 21. April eröffnet, hat es im wahrsten Wortsinn in sich.

Der Ausstellungsort für die Kunstinterventionen ist keine piekfeine Kunstgalerie. Die Rauminstallationen von Renate Lerch und Jacqueline Weiss (Leweis), die Gemälde von Roland Reisewitz sowie die Objekte, die Brigitte Blaser mit der Motorsäge und dem Winkelschleifer aus Holz fertigt, werden hingegen in einem Haus ausgestellt, das sich in einem rohen Zwischenzustand befindet.

Als Roland Reisewitz das Gebäude zum ersten Mal betrat, waren die Räume grösstenteils noch völlig zugestellt. «Man kam am Anfang kaum durch», erinnert er sich. «Die Intimität des Aufgebrochenen, der Reiz und die Herausforderung an der sinnlichen Entdeckung dieses unwegsamen Innengeländes faszinieren mich», sagt der Künstler.

Das Interesse des Malers an dem Haus als eigenständiges Objekt war geweckt, und die Idee für ein Kunstprojekt, das in die Offenheit, in die Unfertigkeit der Baustelle integriert ist und neue Durchblicke und Perspektiven zeigen soll, stand auf einmal in den Räumen.

Das Haus an der Storchengasse 5, in dem die Ausstellung und das Rahmenprogramm stattfinden wird, hat Toni Hasler kürzlich übernommen, um es auszubauen.

Die Geschichte freilegen
«Der Staub, der Dreck und jedes zurückgelassene Detail erzählen von der Vergangenheit und erzeugen eine Stimmung, die neugierig macht, mehr über dieses Haus und seine Räume zu erfahren», erzählen die vier Kunstschaffenden, die sich auf das Gebäude einliessen. Im graduellen Freilegen der Baufragmente und damit auch im Aufdecken der Geschichte des Hauses kamen sie ihm Schicht um Schicht auf die Spur. «Bei einem Projekt wie diesem ist die vielleicht beste Herangehensweise, offen und agil zu sein und vor allem unvernünftig», ist Weiss überzeugt.

Mit Unvernunft meinen die Kunstschaffenden, dass sie sich auf die Räume einlassen und nichts vorab planen. Es ist diese Unvernunft, nicht zu wissen, was passiert, und aufmerksam zu beobachten, wie sich die Zufälle fügen und die Kunstobjekte und Installationen sich mit den Räumen verbinden. Mit den so offenbarten Perspektiven, verändert durch neue Raumverbindungen, verschiebt sich das Blicken und Betrachten. «Es ist der verletzliche Zustand des Hauses, der ein behutsames Vorgehen verlangt, um der Persönlichkeit des Hauses und seinen Überraschungen näherzukommen», erklärt Blaser.

Die Neugier am Überraschenden, welches das Haus nach und nach preisgibt, beflügelt das Schaffen von neuen Blickwinkeln und visuell ge­leiteten Übergängen von Raum zu Raum. Von dieser Suche und dem Interagieren mit den Räumen und Zwisschenräumen geleitet, tüftelt das Quartett an der besten Passung und Einpassung seiner Kunstwerke in die Zimmer. Das ist die einzige Leitlinie, der die unvernünftigen Erarbeitung der Ausstellung folgt: dem Blicken in die Räume und Zwischenräume, dem Erkennen und Wahrnehmen, was wo am besten hineinpasst. «Wir lauschen in die Räume und bauen für das Gehörte eine Bühnenwelt», sagt Jacqueline Weiss, und Renate Lerch ergänzt: «Wir inszenieren die Rückeroberung von brach Gelegtem und die Häutung einer ursprünglichen Möblierung, als würden wir Erinnerungen oder Ahnungen wecken.»

In anderen Zimmern liegen die Tessel, die Brigitte Blaser verfertigt hat, als figurale, geometrische Schaubilder auf den Fussböden. «Tessel sind Holzbrettchen, die zu Zeiten, als viele Leute nicht lesen konnten, eine organisatorische Funktion hatten», erklärt Blaser. «Sie kamen zum Beispiel zum Einsatz, um die Reihenfolge der Waschtage am Brunnen für die Familien festzulegen.»

Auch die Gemälde von Roland Reisewitz, die persönliche Räume zeigen, werden in diesem modular entstehenden Kunstprojekt in die sich offenbarenden Gegebenheiten eingepasst. Reisewitz‘ Malerei tastet sich mit Linien, Spuren und Flächen durch den mehrschichtigen Auftrag und tritt in einen Dialog mit dem Haus. Die Rauminstallationen von Leweis setzen sich mit den baulichen und architektonischen Details auseinander, welche das Künstlerinnenduo unter anderem durch raffinierte Spiegelsetzungen sichtbar macht.

Fragmentarische Vernissage
Die Vernissage wird den Rahmen um das fragmentarische Schaffen im Haus und auf der Baustelle legen. Die Brugger Lyrikerin Doris Gautschi und die Musikerin Claudia Vollenweider werden die Ausstellung mit Wortkunst und Saxophonimprovisationen sinnierend und klingend eröffnen, und das Trio Bellevie mit einem Konzert am 29. April um 16 Uhr bereichern. Führungen sind am 23. April (14 Uhr) und 29. April (17 Uhr) vorgesehen. Die Kunstintervention soll zu einem Gesamtkunstwerk werden, das die Besucherinnen und Besucher in dem Moment komplettieren, wo sie mit ihren von der Baustelle staubigen Schuhen vor den Installationen, Gemälden und Objekten verweilen, sich mit und durch die Kunst auf das Haus einlassen und so selbst ihre Spuren darin hinterlassen.

Vernissage:
Freitag, 21. April, 18.30 Uhr, Storchengasse 5.
Die Ausstellung dauert bis zum 7. Mai,
Freitag und Samstag ab 15 Uhr, Sonntag ab 11 Uhr