Auf einem Tisch im Bastelraum der reformierten Kirche stehen verschiedene Schalen mit bunten Glasstücken. Behutsam ziehen die Kinder kleine Teilchen aus den verschiedenen Schalen heraus. Vorsicht ist angebracht, denn die Glasstücke sind scharf und spitz. «Bei Kursen mit Erwachsenen muss ich öfter Schnittwunden versorgen – Kinder sind viel vorsichtiger», erklärt Kursleiter Raymond Chevalley. Seit mehr als zwanzig Jahren gibt er Glasfusing-Kurse. «Es ist sehr bereichernd, die Freude zu erleben, mit der die Kinder arbeiten», führt er aus. Und die Freude ist so gross, dass manche Kinder den Kurs bereits letztes Jahr besucht haben und diesmal wieder dabei sind.
So viele Anmeldungen wie nie
Der Ferienpass Untersiggenthal findet jährlich in der zweiten Frühlingsferienwoche statt und deckt mit rund fünfzig Kursen alle möglichen Bereiche für Kinder von der 1. bis zur 6. Klasse ab: Neben den Besuchen bei Radio, Fernsehen und Feuerwehr liegt der Fokus auf Sport, Spiel und Kreativität. Der absolute Renner war auch dieses Jahr – wie nicht anders zu erwarten war – die Schoggigenusswerkstatt. Ebenfalls beliebt waren der Besuch in der Tierklinik sowie der Kurs «Umgang mit Hunden».
Daneben konnte man unter anderem Einblicke ins Programmieren gewinnen, einen Bristle-Bot (Roboter aus Zahnbürstenkopf) bauen, im Steinbruch nach Fossilien suchen, dem Falkner über die Schulter schauen und Modellflugzeuge steuern. «Dieses Jahr haben wir so viele Anmeldungen wie schon lang nicht mehr, es sind über 200 Kinder dabei», sagt Bettina Scherer vom Organisationskomitee (OK) erfreut. «Eigentlich hatten wir damit gerechnet, dass viele Familien nach der Coronapandemie wieder die Möglichkeit nutzen, um zu reisen, und dass deshalb eher weniger Kinder dabei sind – umso mehr freuen wir uns über das grosse Interesse.» Das OK besteht aus sieben Personen, welche die gesamte Organisation übernehmen. Hinzu kommen freiwillige Begleitpersonen. Ohne Freiwilligenarbeit geht gar nichts, und die Organisatorinnen sind immer froh, Unterstützung zu erhalten.
Im Bastelraum widmen sich die Kinder konzentriert ihren Kunstwerken aus Glas. Auf vorbereitete Glasplatten werden zunächst kleine Stücke in verschiedenen Farben gelegt, ganz nach dem Geschmack der kleinen Künstlerinnen und Künstler.
Arbeiten mit dem Zahnstocher
Die Plattenrohlinge schneidet Raymond Chevalley von Hand zu: Fisch, Pinguin, Vogel, Flugdrachen, Eule, Herz, Auto, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Für Glasschalen stehen quadratische Glasplatten bereit. Die kleinen Teilchen werden abschliessend mit wenig Weissleim auf dem Rohling fixiert, damit sie beim Transport nicht verrutschen. Hierzu ist genaues Arbeiten mit einem Zahnstocher nötig, denn zu viel Weissleim verkohlt im heissen Ofen und führt zu schwarzen Flecken beim Endprodukt.
Damit Kursleiter Raymond Chevalley zu Hause die rund hundert verschiedenen Werke unterscheiden kann, fertigt jedes Kind auf einem Blatt Papier eine Skizze seiner Werke an.
Im Atelier von Raymond Chevalley in Dietikon gehen die Kunstwerke dann in den Glasbrennofen. Das Glas wird während sechzehn Stunden langsam auf rund 750 Grad Celsius erhitzt. Dabei verbinden sich die Glasteilchen, sie verschmelzen, «fusionieren» – daher kommt die Bezeichnung Glasfusing (aus dem Englischen «to fuse»: zusammenschmelzen).
Diese Art der Glaskunst ist über 2000 Jahre alt und war die gängige Technik der alten Ägypter und Römer. Dann wurde sie durch die beliebte Glasbläserei verdrängt und erst Anfang des letzten Jahrhunderts in Amerika wieder belebt – sehr zum Glück der kleinen Künstler und Künstlerinnen des Ferienpasses Untersiggenthal.