Vom gelingenden Loslassen

Gut loslassen zu können, hat viel mit dem eigenen Glücklichsein zu tun. «Dieses gilt es sich zu erarbeiten», findet Ursula Davatz.
Ursula Davatz hat aus ihrem Fundus dieses Bild ausgewählt und kommentiert: «Ein bisschen frech, fragend, neugierig und modisch, ein lustiges Foto». (Bild: zVg)

Auch wenn es rund ums Altern geht, hat Ursula Davatz bei aller Ernsthaftigkeit Talent fürs unterhaltsame Erzählen. «Vor zwei Jahren kaufte ich mir ein neues Snowboard. Es war aber zu hart und brachte mich zu Fall», so die bald 81-Jährige. Doch trotz Brüchen an Arm und Fuss fuhr die Verunfallte vor der Verarztung noch ins Tal. «Meine Enkel waren ziemlich beeindruckt.» Mittlerweile ist alles verheilt, Ursula Davatz kann wieder ihren sportlichen Hobbys frönen. «Ich gehe sehr gern eiskunstlaufen, hatte jahrelang den gleichen Trainer wie Denise Biellmann; zudem besuche ich einmal die Woche eine Pilateslektion. Ausserdem hilft der regelmässige Saunabesuch zusammen mit meinem Mann, alles auszuschwitzen, was durch die berufliche Tätigkeit an mich herangetragen wird.»

In verdaubaren Portionen loslassen
Jahrzehntelang hat Ursula Davatz als Psychiaterin und Therapeutin in der Region Baden-Brugg gewirkt, sei es für die PDAG in Windisch oder während 23 Jahren in der eigenen Praxis in Baden. «Zu meinem achtzigsten Geburtstag im Juni schenkte ich mir eine Tagung – es war ein Anlass in so guter Stimmung. Ende 2022 löste ich meine Praxis in Baden auf. Ich räumte Stück für Stück aus, bis ich Ende Dezember in den leeren Praxisräumen stand und wusste, dass ich gut gehen kann.» Die Praxis in Zürich betreibt sie nach wie vor. «Aber nur noch von Montag bis Freitag. Früher arbeitete ich hier sogar samstags», so die dreifache Mutter und fünffache Grossmutter.

Loslassen in der Familie gelernt
Seit 1969 ist Ursula Davatz mit dem vier Jahre jüngeren Künstler Jürg Da Vaz verheiratet. Beide sind das dritte von vier Geschwistern. «Das Loslassen lernte ich bereits in meiner Ursprungsfamilie.» Ihr Vater führte das noch heute in Koblenz ansässige Sitzmöbelunternehmen Stoll Giroflex. Die Töchter sahen sich nicht in der Nachfolge, also wurde die Familienfirma aufgelöst und 2017 von einem norwegischen Möbelhersteller übernommen.

Geht es beruflich ums Loslassen – speziell im Altern –, ist die Familientherapeutin vor allem bei Angehörigen betagter Eltern gefragt. «Ich muss schauen, dass sich die mittlere Generation nicht vergisst.» Besonders gegenüber Töchtern oder Schwiegertöchtern können alternde Eltern bisweilen tyrannisch sein. «Kommen hingegen die Söhne zu Besuch, werden sie gefeiert.»

Doch sich von den hilfsbedürftigen Eltern abzugrenzen, fällt vielen schwer. Ursula Davatz: «Keine erwachsene Person kann die Verantwortung für das Glücklichsein von Vater oder Mutter übernehmen. Das Wichtigste, was Kinder zum Glück der Eltern beitragen können, ist, selbst ein zufriedenes Leben zu führen.» Sie selbst habe nie ein schlechtes Gewissen gegenüber den eigenen Eltern gehabt. «Das hiess, an meiner Haltung zu arbeiten und gelegentlich einen Vorwurf zu überhören.»

Stetig weiterwachsen
Ursula Davatz spricht von zwei Arten Glücklichsein: vom hohlen Glück, das mehr dem Schein als dem Sein verpflichtet ist, und vom kräftigenden, gesundheitsstärkenden Glück, das einem zufriedenen Innern erwächst und unabhängig ist vom Echo der Aussenwelt. Sie selbst lebt Letzteres mit Haut und nach wie vor gefärbtem Haar, stets modisch-frech zusammengestellter Garderode als Teil der Selbstsorge, und zwar dank inspirierenden Reisen, Projekten wie dem Museum im Münstertal zum Erhalt der Da-Vaz-Kunst oder dank ihrer unbändigen Freude an der Arbeit: «Ich müsste nie ins Theater gehen. Was ich als Familientherapeutin täglich erleben und lernen darf, ist hundert Mal interessanter.» Ursula Davatz abschliessend: «Ich bin davon überzeugt, dass Menschen – und insbesondere Frauen im Alter – aus ihrer Eigenständigkeit, Weisheit und Kreativität heraus vorwärtsgerichtete Gedanken entwickeln und diese der Welt zur Verfügung stellen sollen.»