Tanzgewordenes Erinnerungsgeflüster

Mit der Premiere von «Heimlich seufzen die Winde» ging eine Ära zu Ende. Brigitta Luisa Merki übergab ihr Werk an Choreograf Filipe Portugal.
Unter von Erinnerungen eingesponnenen Bäumen entfaltete sich die Choreografie in verträumter Langsamkeit. (Bild: zVg)

Am 24. Mai feierte die diesjährige Produktion von Tanz & Kunst Königsfelden Premiere. Eröffnet wurde der Abend mit einem Grusswort von Regierungsrat Alex Hürzeler. Er wies auf die Einzigartigkeit und die schweizweite grosse Bedeutung des Kulturleuchturms Tanz & Kunst Königsfelden auf Aargauer Boden hin und dankte Brigitta Luisa Merki für ihr unermüdliches Engagement. Für die künstlerische Leiterin, die Tanz & Kunst Königsfelden 2007 gegründet hat, geht mit der Premiere eine Ära zu Ende. «Ich schätze mich glücklich, in Filipe Portugal eine kompetente und engagierte Nachfolge gefunden zu haben. Seine choreografische Handschrift überzeugt mich, und ich bin gespannt auf die zukünftigen Projekte dieses künstlerischen Unternehmens», hatte Merki im Vorfeld zur Uraufführung festgehalten.

Vertanzte und vertonte Lyrik
Vor dem Premierenpublikum – 230 Personen waren gekommen – zeigte der designierte neue Tanzleiter Filipe Portugal, der 2024 die künstlerische Leitung von Tanz & Kunst Königsfelden übernimmt, wie eine lose Wahl an Gedichten des portugiesischen Schriftstellers Fernando Pesssoa choreografisch interpretiert aussieht. Im Titel des Gesamtkunstwerks «Heimlich seufzen die Winde» lebt ein Zitat aus der Poesie von Ricardo Reis auf, einem der zahlreichen Heteronyme von Fernando Pessoa.

Filipe Portugal besinnt sich mit diesem choreografischen Werk auf die Wurzeln seiner Herkunft. Zum einen kam er seinem lang gehegten Wunsch nach, sich mit dem gefühlsintensiven Gesang des Fado auseinanderzusetzen und ihn mit seiner abstrakten tänzerischen Sprache zu konfrontieren, und zum anderen inspirierten ihn die Stimmungsbilder aus der Poesie des portugiesischen Schriftstellers Fernando Pessoa. Der traditionsreiche Fado stand denn auch wie ein Erinnerungsstück in der Gegenwart des tänzerischen Ausdrucks und ermöglichte im Ambiente der Klosterkirche, selbst eine Erinnerungsstätte, eine Entfaltung von Klang- und Tanzbildern gleichermassen, die sich intensiv im Inhalt, aber weich in der choreografischen Formensprache erschliessen liessen.

Fado im Gegenüber von Klassik
Die musikalische Begleitung war geteilt: Ein Fado-Trio aus Lissabon mit Fadista Marta Rosa und ihrer eindrucksvollen Stimme sowie den Gitarristen António Duarte Martins und Diogo Castro brachten das portugiesische Lebensgefühl «Saudade» in den Kirchenraum aus dem 14. Jahrhundert. Das musikalische Gegenüber bildete ein Streichquintett unter der Leitung von Laida Alberdi. Es brillierte in unterschiedlichen Arrangements aus dem klassischen und zeitgenössischen Kontext und erweiterte den musikalischen Raum für das Bühnengeschehen. Das zehnköpfige, international besetzte Tanzensemble schuf eine hoch künstlerische Inszenierung inmitten des Bühnenraums, den Ruth Maria Obrist geschaffen hatte. Die Künstlerin hatte eine Installation aus blätterlosen, einbandagierten Bäumen kreiert, an deren knorrigen Ästen schwarze, glänzende Gewebe hingen und insgesamt eine kalte, geisterhafte Atmosphäre schufen, die dennoch eine verträumte Weichheit verbreitete.

Akrobatische Choreografie
Das rund 70-minütige Tanzstück war von einer akrobatischen, geschmeidig abgerundeten und oft fast zeitlupenartigen Choreografie und einer erkennbar lyrischen Idee geprägt, die dem Gesamtbild weitere träumerische Noten verlieh. Die präzis überlegte Abstimmung von Musik und Tanz offenbarte die einprägsamsten Momente dieser Symbiose viel eindeutiger im Zusammenspiel mit dem Quintett. Neben dem Fado-Gesang wirkten die Bühnentänzerinnen und -tänzer trotz ihrer Präsenz oft blass, die vertänzelten Bewegungen suchend und verloren. Die zahlreichen Duettsequenzen balancierten das aus; während dieser verdichteten Pas-de-deux-Momente wurde eine langsame Bühnensprache vorgetragen, mit der die Tänzer und Tänzerinnen die Lyrik, die als Vorlage diente, am deutlichsten verkörperten.

Im Mittelteil der Produktion leisteten die Tänzer zunächst viel Bodenarbeit, bevor das Ensemble die Abschnitte der choreografierten Synchronizität in bewegungsversetzten Figuren und Asymmetrien auflösten. Die zum Teil eigenwilligen Solodarstellungen und rein instrumentalen Intermezzi wurden manchmal von eindringlichem Geflüster in verschiedenen Sprachen durchsetzt, was der Atmosphäre nicht zuträglich war. Das tanzgewordene Flüstern hatten längst die Tanzenden übernommen. Mit «J’oublie (Oblivion)» mit dem Text von Julien Clerc und der Musik von Astor Piazzolla liess Marta Rosa den Abend schliesslich klar und deutlich ausklingen. Nach der Vorstellung wurde zur Premierenfeier im Campus der FHNW geladen. Unter den Gästen waren unter anderem alt Bundesrätin Doris Leuthard, Frau Stadtamman Barbara Horlacher, Gemeindepräsidentin Heidi Ammon, Regierungsrat Dieter Egli sowie Kathleen McNurney, Präsidentin von Danse Suisse. Filipe Portugal zeigte sich glücklich: «Es war eine intensive Arbeit in den letzten Monaten, und ich sowie das gesamte Ensemble haben uns gefreut, diese nun endlich zu präsentieren.»

tanzundkunst.ch