An der Gemeindeversammlung in Mülligen vom 16. Juni stand eindeutig Traktandum vier im Zentrum des Interesses. Den 142 erschienenen Stimmberechtigten (von 697) wurde die «Abweisung des Projektierungskredits für den Gemeindezusammenschluss der Gemeinden Birr, Birrhard, Lupfig und Mülligen von 220 000 Franken» zur Abstimmung vorgelegt. Auch damit geht das Walddorf an der Reuss mit seinen 1123 Einwohnerinnnen und Einwohnern eigenwillige Wege. Derweil die drei anderen Gemeinden Birr, Birrhard und Lupfig den Antrag des Projektierungskredits zurückgezogen und abtraktandiert haben und stattdessen eine neue Vorlage mit revidiertem Antrag vor die Wintergmeind bringen werden, legte der Gemeinderat von Mülligen dem Stimmvolk das Geschäft vor, zu dem er im Vorfeld die Ablehnung empfohlen hatte.
Den Rechtsdienst konsultiert
Der Mülliger Gemeindeammann bestätigte zunächst, dass es mit der Abstimmung über Traktandum vier mit rechten Dingen zu und her gehe. «Wir haben das mit dem Rechtsdienst des Kantons abgeklärt», versicherte Gemeindeammann Stefan Hänni. Sodann erinnerte er an die Bevölkerungsfrage vom Juni 2021 in Mülligen, bei der sich 75 Prozent der Teilnehmenden für eine Gemeindefusion ausgesprochen hatten. «Nur Habsburg sagte damals Nein», so Hänni in seinem Rückblick.
Erratischer Kurs
Im Rückblick wurden freilich nicht alle Stationen des erratischen Kurses gestreift, den die Gemeinde bis zum Abend der Versammlung eingeschlagen hatte: Die vier Eigenämter Gemeinden Birr, Birrhard, Lupfig und Mülligen hatten einen Zusammenschluss angestrebt. Nach Umfragen, einer Machbarkeitsstudie und diversen Informationsveranstaltungen in allen vier Gemeinden, in denen eine positive Grundhaltung gegenüber einer vertieften Abklärung festgestellt wurde, war der offizielle Start des Projekts für August 2023 vorgesehen; die Realisation des Zusammeschlusses wäre auf 1. Januar 2027 erfolgt.
Doch Anfang Mai scherte Mülligen überraschend aus, nachdem der Gemeinderat dem Stimmvolk das Geschäft des Kreditantrags zur Ablehnung an der Sommergmeind empfohlen hatte – ein Vorgehen, das eine politische Aussergewöhnlichkeit darstellt, zumal der Projektierungskredit dann schon ausgearbeitet und die Traktandierung des Kredits von allen vier Gemeinderäten bereits explizit beschlossen worden war. Auch lagen die Broschüren für die Versammlung bereits gedruckt vor. Dem öffentlichen Schreiben des Gemeinderats im Mai war keine Stellungnahme an die drei betroffenen Gemeinden vorausgegangen, und der abrupte Kurswechsel Mülligens hatte für Verstimmung gesorgt.
Pro- und Kontraliste erstellt
Gemeindeammann Hänni erwähnte an der Gemeindeversammlung zwar die Machbarkeitsstudie, welche die vier Gemeinden im Sommer 2022 erstellen liessen und die mögliche Synergieffekte aufzeigte. In Mülligen selbst spielten sich in jenem Sommer jedoch andere Szenen ab als in einer inoffziellen Abstimmung, die an der Informationsveranstaltung vom 26. August 2022 durchgeführt wurde: Unter den 86 Befragten waren nur noch deren sieben für einen Zusammenschluss. «Das Ziel war, eine Entscheidungsgrundlage für den Gemeindezusammenschluss zu erarbeiten», kommentierte Hänni das Resultat der damaligen Abstimmung. Der Gemeindeammann führte ausserdem die Vor- und Nachteile einer Fusion auf. Nachteile sah er insofern, dass bei einer Fusion keine Gemeindeversammlungen mehr stattfänden und unklar sei, ob dann der Ortsteil Mülligen noch gehört werde, sowie keine klare geografische Zugehörigkeit mehr bestünde. Vorteile seien hingegen in den Synergien von Verwaltung, Schulsozialarbeit und Werkdienst, dort insbesondere beim Forst, zu erblicken. «In finanzieller Hinsicht hat Mülligen dank Holcim kein strukturelles Defizit mehr», stellte Hänni klar. Dank dem vertraglich gesicherten Beitrag der Holcim AG stünden keine Steuerfusserhöhungen an. In seiner Rede vor dem bedeutsamen Abstimmungsmoment betonte Hänni ausserdem, dass der Gemeinderat stabil sei, er keine Vakanzen aufweise und die Zusammenarbeit mit der Verwaltung gut funktioniere. Sein Gremium habe während einer Klausur eine Pro- und Kontraliste erstellt. Diese zeige: «Fast dopppelt so viele Argumente sprechen gegen einen Zusammenschluss als dafür.» Der Gemeinderat wünsche sich jedoch «einen demokratischen Entscheid» und habe deswegen den Antrag traktandiert.
«Es muss für uns stimmen»
Dass der Antrag so spät kommuniziert worden sei, sei «unglücklich für die anderen» gewesen, gab Hänni zu. «Dazu stehen wir.» Bevor der Gemeindeammann nochmals allen erklärte, dass ein Ja die Ablehnung des Antrags und somit keine Fusion bedeute, betonte er: «Es muss für uns stimmen.» Die Vorlage wurde mit drei Enthaltungen angenommen. Sie unterliegt dem fakultativen Referendum.