Die neuen tannengrünen Tische unter der Rebenpergola sind akkurat gedeckt, in der Mitte der Terrasse plätschert das Wasser im Pflanzenbrunnen, und die Crew ist vollständig: Das Restaurant Weisser Wind ist bereit für die Sommersaison. Ab dem 1. Juli hat die Beiz, die einst als Drehort für die TV-Serie «Der Bestatter» schweizweit Berühmtheit erlangte, nicht mehr nur abends, sondern auch über Mittag wieder geöffnet. «Ich kann es kaum erwarten, bis unser neuer Koch anfängt», gesteht Alessio Gretz. Neben ihm steht Ricardo Rodrigues und strahlt über das ganze Gesicht. Der Ehrendinger, der bis Ende Juni noch als Koch im Kantonsspital Baden (KSB) tätig ist, freut sich ebenso auf seine neue Aufgabe. Er hat bereits mehrmals in Freienwil ausgeholfen, wenn Not am Mann war.
Das Restaurant schliessen?
Das war in den letzten Monaten regelmässig der Fall: Zu Beginn des Jahres hatte der bisherige Koch überraschend aus familiären Gründen den Betrieb verlassen, und Gretz stand plötzlich allein da: «Im ersten Moment dachte ich, das wars, jetzt muss ich das Restaurant schliessen», gesteht der 32-Jährige. Die Suche nach einem Nachfolger verlief angesichts des Fachkräftemangels in der Gastrobranche sehr harzig. Aber Alessio Gretz beschloss, zu kämpfen.
Fortan war er Gastgeber, Koch, Putzfee und Servicekraft in Personalunion. Um 8.30 Uhr fing er mit dem Vorbereiten der Suppe und des Menüs an, deckte die Tische und putzte die Toiletten. Nach dem Mittagsgeschäft war die Küche gegen 15.30 Uhr aufgeräumt, und dann begann bald der Abendservice.
Obwohl er Unterstützung von Aushilfen hatte, waren 16-Stunden-Tage ohne Verschnaufpause die Regel. «Nach zwei Wochen zog ich die Reissleine und entschied, nur noch abends zu öffnen», erzählt Gretz.
Die Genossenschaft Weisser Wind Freienwil, der das Restaurant gehört, griff dem Pächter tatkräftig unter die Arme.
Hilfe von der Genossenschaft
Sie gründete eine zehnköpfige Unterstützungsgruppe. «Sie übernahmen Arbeiten wie Staubsaugen oder Bodenwischen, schleppten Getränke und halfen im Service – und das alles unentgeltlich!», sagt Gretz dankbar. «Diese kleinen Dinge haben mich enorm entlastet.» Dennoch forderte ihn der Notbetrieb weiterhin. Gretz machte aus seiner Lage kein Geheimnis: «Ich habe bei der Begrüssung am Tisch jeweils direkt gesagt, dass ich allein bin. Alle hatten Verständnis. Vor allem die Stammgäste waren sehr hilfsbereit, manche boten mir sogar an, in der Küche Gemüse zu rüsten», erzählt der Walliser.
Parallel lief die Suche nach einem neuen Koch. Der gleichaltrige Ricardo Rodrigues war von Beginn an Gretz’ Wunschkandidat für die Küche. «Aufgrund seiner temporären Einsätze kannte er hier alles, und menschlich stimmt es ebenfalls.» Dennoch sagte der Ehrendinger zuerst ab, weil er im KSB mehr Freiheiten geniesse, vor allem am Wochenende. Schliesslich hat Gretz für seinen neuen Koch extra die Öffnungszeiten angepasst: Neu ist ab 1. Juli mittwochs und samstags erst um 17.30 Uhr geöffnet, nur am Sonntag ist der «Weisse Wind» durchgehend von 11.30 bis 21 Uhr offen. «Als Arbeitgeber muss man den Mitarbeitenden heutzutage etwas bieten, damit sie kommen – und vor allem bleiben», ist dem Pächter bewusst.
Mehr auf Events setzen
Die Speisekarte mit dem «Weissen Wind»-Burger («Unser absoluter Renner!») bleibt im Grossen und Ganzen unverändert. Hingegen hat die neue Crew entschieden, noch mehr Hausgemachtes anzubieten. Auch das Wochenspezial wird beibehalten. Künftig will der Wirt aber stärker auf Events wie Wine & Dine, Candlelight-Dinner oder Brunch setzen: «Die bisherigen Anlässe waren ein Erfolg.»
Rechtzeitig auf die wärmeren Tage hin hat Gretz zudem eine neue Möblierung auf der Terrasse von der Genossenschaft erhalten. «Die Tische und Stühle waren wirklich alt und teilweise brüchig, deshalb habe ich letztes Jahr beim Vorstand angefragt, ob sie diese ersetzen könnten», so der Pächter. Nun verfügt seine Terrasse über je fünf Zweier- und Vierertische sowie den grossen Stammtisch.
Alessio Gretz blickt zuversichtlich in die Zukunft. Von der Unterstützungsgruppe werden drei Personen weiterhin auf Abruf einspringen – «nun aber gegen eine Entschädigung», betont der Gastronom, der das Restaurant im Oktober 2020 mitten in der Coronapandemie wiedereröffnet hatte. «Ich hoffe, dass ich noch lang in Freienwil bleiben kann.»