Zu Fuss von Vindonissa ins untere Aaretal

Mitglieder des Vereins Legio XI marschieren am Sonntag in Legionärsausrüstung von Windisch an den Kulturerbe-Tag in Würenlingen.
Am kantonalen Kulturerbe-Tag werden die modernen Legionäre in historischen ­Gewändern zu Fuss von ­Vindonissa nach Würenlingen marschieren. Daniel Wehrli, Salvatore Santoro, Claudia Vengira und Davide Tulipano die Strecke zum Würenlinger Unterwald abgelaufen.

«Wir haben alle eine verrückte Vorliebe für unser Hobby, sonst würden wir so etwas nicht machen», sagt Salvi Santoro und lacht. Dies bezieht er in erster Linie auf sich selbst und seine Kollegen vom Verein Legio XI. Während andere den Tag im heimischen Garten oder in der Badi geniessen, werden sie am Sonntag zusammen von Windisch über Turgi nach Würenlingen marschieren. Und das nicht in Trekkingschuhen, sondern in Sandalen und historischen Gewändern, wie ein römischer Legionär sie vor zweitausend Jahren trug. Zur «Vollpackung» gehören eine Rüstung aus Eisen, ein Helm, ein grosses Schild sowie Speere und Dolche. Ebenfalls im Gepäck sind eine eiserne Trinkflasche und Essgeschirr, das beim Laufen im Takt mit der Rüstung klappert.

Römische Kaiserzeit nacherleben
Mit vollem Namen heisst ihr Verein, der seinen Sitz in Windisch hat, «Vexillum Legio XI Claudia Pia Fidelis». Die Mitglieder sehen sich als Teil einer weltweiten Bewegung, die Living History genannt wird. Ihr besonderes Interesse gilt der klassischen römischen Kaiserzeit. Genauer den Jahren 70 bis 101 nach Christus, als die elfte Legion (Legio XI) in Vindonissa stationiert war. Im Experiment versuchen die Mitglieder, zusammen den militärischen Alltag und das zivile Leben im militärischen Umfeld realitätsnah darzustellen. Regelmässig sind sie deshalb beim Legionärspfad in Windisch zu Gast, auch am Samstag der Römischen Erlebnistage vom 24./25. Juni. Am Sonntagmorgen werden sie sich aufmachen, um nach Würenlingen zu marschieren.

Als Vorbereitung ist ein Teil der «Legionäre» die Strecke zum Würenlinger Unterwald vorher abgelaufen. Dort – an der heutigen Grenze zu Döttingen und an der damaligen Römerstrasse nach Tenedo (Zurzach) – befand sich nämlich einst ein Aussenposten des grossen Legionslagers von Vindonissa. Am Kulturerbe-Tag werden die modernen Legionäre, nach einem Abstecher in den Unterwald, auf der Wiese hinter dem Kulturzen­trum Dorfschüür ein Militärlager aufbauen. Das Publikum kann ihnen dort beim Arbeiten und Exerzieren zuschauen und sich so für einen Moment in römische Zeiten zurückversetzen lassen.

«Die ganze Ausrüstung ist gegen fünfzig Kilogramm schwer», erklärt Legionär Daniel, der froh ist, im Schatten einen Moment verschnaufen zu können. Dass es Wissenschaftler gibt, die meinen, dass Legionäre so am Tag sechzig Kilometer weit marschiert seien, dafür hat er nur ein müdes Lächeln übrig. «Ich glaube, es waren höchstens dreissig.»

Römische Soldaten der 11. Legion aus Vindonissa marschieren am Kulturerbe-Tag in Würenlingen ein. (Bild: zvg | Kantonsarchäologie)

Sandalen mit genagelten Sohlen
An den Füssen tragen die Legionäre Sandalen mit genagelten Sohlen, die guten Halt im Gelände geben. Aber Achtung: «Auf glattem Boden und bei Gullydeckeln muss man aufpassen, damit man nicht ausrutscht», sagt Legionär Salvi Santoro alias Salvivs Lvcarivs Tavrvs. Und Davide Tulipano ergänzt, dass er schon die ersten Blasen hat. Auch Claudia Vengira, die zwar keine Rüstung, aber die Kleider einer Römerin trägt, zeigt ihre Schuhe: Sie trägt eine Art Mokassins, deren Sohlen ebenfalls genagelt sind.

In den Wintermonaten von 2019 bis 2021 untersuchten Mitarbeitende und Freiwillige der Kantonsarchäologie Aargau immer wieder den Würenlinger Unterwald und fanden unter anderem eine Dolabra – eine Pionieraxt, wie römische Legionäre sie für Schanz- und Rodungsarbeiten benutzten. Neben der Axt einen Dolch, Gurtschnallen und römische Münzen. Der Fund gehöre «zu den wichtigsten archäologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte im Aargau», sagte Jürgen Trumm, Leiter Ausgrabungen Vindonissa bei der Kantonsarchäologie, in den Medien.

In einem Fachartikel schrieben die Archäologen, dass der Fund «aus fachlicher Sicht keine Überraschung» sei. Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse waren die Fachleute davon ausgegangen, dass es im Umfeld des ­Legionslagers Vindonissa solche Übungslager gab, wo Gruppen von Legionären per Boot auf der Aare oder zu Fuss hingelangten, um dort Übungen abzuhalten. Im November 2022 wurde die in Würenlingen gefundene Dolabra erstmals öffentlich ausgestellt, im Vindonissa-Museum in Brugg.

So etwas weckt natürlich das Interesse der modernen Legionäre, die sich gern auf den Spuren der historischen Legionäre bewegen. Studierte Archäologen sind sie zwar nicht, aber als interessierte Laien haben sie eine Meinung zum Fund: ein so wertvolles Stück wie die Dolabra hätten die römischen Legionäre auf keinen Fall einfach so liegen lassen. Schon eher sei die Axt rituell begraben worden.