«Emotional bin ich zum Millionär geworden»

Am «besten Platz von Brugg» tätig, ist «Schneidi» Infobüro, Seelsorger und Kreditanstalt in Personalunion. Per 1. Juli schliesst er seinen Imbiss.
«Ich bin den Menschen, die mich hier unterstützt haben, dankbar»: Markus Schneider an seinem Imbissstand. (Bild: ENP)

Stillsitzen, das ist definitiv nicht Markus Schneiders Metier. Alle zwei Minuten kommt an diesem warmen Nachmittag ein Kunde an seinen Tresen. «Eine Currywurst, scharf, wie immer?», begrüsst «Schneidi», wie er hier von allen genannt wird, sein Gegenüber und legt mit der Zange schon die nächste Wurst auf den Grill. «Es gibt Leute, die kommen seit 15 Jahren an meinen Stand – und das mindestens einmal pro Woche», sagt der Birrer, der sich mittlerweile als Brugger bezeichnet – «denn ich verbringe mehr Zeit an meinem Arbeitsort als zuhause». Rund 70 Stunden pro Woche arbeitet der 53-Jährige an seinem Imbissstand auf dem Neumarktplatz – und das bei jedem Wetter. «Es hängt schon an», sagt er. Deshalb schliesst er in den Monaten Januar und Februar und macht wenigstens ein paar Wochen im Jahr Ferien – am liebsten in Thailand, wo er viele gute Freunde hat.

Mehr als ein Job
Nach Thailand hat er sich auch abgesetzt, als er im vergangenen Herbst vom Grundeigentümer die Kündigung erhalten hat – per Ende September 2023. «Ich musste diese Nachricht erst mal verdauen», erzählt er bei einem Kaffee am Tresen seines Imbissstandes. «Für mich ist eine Welt zusammengebrochen, denn dies hier war kein Job für mich, es war mein Leben.» In der Distanz und unterstützt durch seine thailändischen Freunde habe er einen anderen Blick auf die Dinge gewonnen. «Ich konnte das Schöne an diesem Schicksalsschlag entdecken», erzählt er. Nun freut er sich auf seinen neuen Job bei einem ehemaligen Arbeitgeber, auf «bezahlte Ferien, eine 42-Stunden-Woche und den Feierabend». Und auf ein Privatleben, das aufgrund seines Jobs «viel zu kurz» kam.

Am 1. Juli vor 15 Jahren hat «Schneidi» den Imbiss – «mehr durch Zufall» – übernommen, am 1. Juli empfängt er seine Kundschaft zum letzten Mal. «So schliesst sich der Kreis.» Geöffnet hat er wie immer ab 7 Uhr, gegen 11 Uhr legt er die ersten Würste der Freiämter Metzgerei Braunwalder auf den Grill. Von diesen hat er aktuell noch genug. «Aber ich bin froh, wenn alles weggeht und ich nichts mehr im Tiefkühler lagern muss», schmunzelt er. Seine Arbeit werde er nicht so sehr vermissen, «aber die Menschen». Markus Schneider war, wie er sagt, für viele «Anlaufstelle, Infobüro, Seelsorger und Kreditanstalt» in Personalunion. So mancher hat ihm nach dem zweiten Bier seine Lebensgeschichte erzählt, ihm von seinen Sorgen berichtet und neue Hoffnung geschöpft. «Geredet habe ich selbst nicht viel, ich habe vor allem zugehört», sagt er. Das sei auch ganz in seinem Sinn. «Ich bin eigentlich gar nicht so kontaktfreudig und froh, wenn mich die Leute in Ruhe lassen», ist er überzeugt – und stutzt dann trotzdem ob seiner Worte. «Was ich mit Überzeugung sagen kann: Ich habe die Menschen gern.»

Zentraler Treffpunkt
Und die Menschen mögen ihn. Seine Kundinnen und Kunden sind Banker, Handwerker, Politiker und Schülerinnen und Schüler ebenso wie Menschen, die nicht unbedingt im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen. Um sie macht sich «Schneidi» Sorgen. «Wo sollen sie hingehen, wenn ich nicht mehr da bin», fragt er – und erzählt von einem Mann, der in der psychiatrischen Anstalt in Königsfelden wohnt und jeden Tag hierher kommt. «Hier ist er Teil der Gemeinschaft und darf sein, wie er ist», sagt Markus Schneider. «Das ist oft besser als jede Therapie.» Sein Imbissstand ist für viele nicht nur eine zentrale Anlaufstelle und eine wichtige Konstante im Leben, sondern ein Zuhause. «Hier sind alle willkommen», sagt Schneider. An seinem Stand hätte man sich getroffen, auch Nachbarn, Politiker und die Polizei gehörten zu seiner Stammkundschaft. Reich sei er bei seiner Tätigkeit nicht geworden, zumindest nicht im monetären Sinn, betont der Imbissbetreiber. «Emotional aber bin ich zum Millionär geworden.» Seinen zentralen, hochfrequentierten Arbeitsort beschreibt er als «besten Platz in Brugg». Hier herrsche buntes Treiben, «hier lebt Brugg».

Die Kündigung an Markus Schneider nimmt man bei der Stadt mit Bedauern zur Kenntnis. Er habe schon ein paar Anrufe diesbezüglich erhalten, sagt Stadtschreiber Matthias Guggisberg auf Anfrage. «Mit der Kündigung haben wir nichts zu tun», beteuert er. Der Neumarktplatz sei zwar öffentlicher Grund, «Schneidi’s Imbiss» stehe aber auf privatem Boden. Gründe für die Kündigung sind Guggisberg keine bekannt. «Die Stadt hat kein Interesse daran, dass Markus Schneider weg geht», hält er fest. Reklamationen oder Beschwerden habe es nie gegeben. «In Brugg braucht es einen Wurstimbiss.» Die Stadt könne Markus Schneider jedoch keinen geeigneten Platz als Alternative anbieten, bedauert der Stadtschreiber. Und so wird «Schneidi» am 1. Juli ein letztes Mal für alle da sein – bevor er Haus und Material entsorgt und sich auf sein neues Leben einlässt.

Samstag, 1. Juli, ab 7 Uhr
Schneidi’s Imbiss, Brugg