Projekt «Wise Swiss Rowers» versenkt

Gemeinsam hatten sie einen grossen Traum: Vier Senioren um die 70 wollten über den Pazifik rudern. Nun wurde das Projekt gestoppt.
Da war die Welt noch in Ordnung: Rolf Düggelin, Ton Koster, Friedrich Wollmann und Hanspeter Nagel im April 2023 beim Rudertraining im Studio ihres Rudercoaches Andreas Pirscher in Ennetbaden. (Bild: zVg)

Im Juni 2024 wollten vier Rentner aus der Region in einem Ruderboot die ­Talisker Whisky Pacific Challenge von Kalifornien nach Hawaii absolvieren und so beweisen, dass auch ältere Semester über sich hinauswachsen können. Ein Jahr vor dem Start ist der Traum von Rolf Düggelin (71, Scherz), Friedrich Wollmann (73, Nussbaumen), Ton Koster (73, Würenlingen) und Hans­peter Nagel (65, Hornussen) vorerst geplatzt: In den vergangenen Wochen hat sich ein Konflikt innerhalb des Teams zugespitzt, der vor einer Woche in der Auflösung der Rudercrew gipfelte. Allerdings sind die Ansichten über die Art und Weise geteilt: Düg­ge­lin sagt, das Ende des Projekts sei «ein demokratischer Entscheid der anwesenden Mitglieder» gewesen. Die anderen drei sagen, dass Rolf Düggelin ausgestiegen sei.

Starke Emotionen
Gemäss Rolf Düggelin, dem Initiator und Kopf der «Wise Swiss Rowers», haben die Schwierigkeiten im Frühling begonnen, als Hanspeter Nagel als vierter Mann dazugestossen ist – der Hornusser ist seit 25 Jahren als Hochseesegler mit allen Gewässern vertraut und hat den Atlantik bereits fünfmal überquert. Unterschiedliche Auffassungen gab es vor allem bezüglich des Rennens auf dem Meer.

Eskaliert ist die Situation schliesslich an einer Sitzung am Donnerstag, 22. Juni, bei der es um das Sicherheitsdispositiv auf See ging. Nagel war an dieser Sitzung nicht persönlich dabei, weil er seit Anfang April mit seiner Frau auf der Ostsee segelt. Am Telefon bestätigt der Hornusser gegenüber dieser Zeitung, dass er Düggelins Vorschlag in Frage stellte: «Dieser beruht auf ­demokratischen Prinzipien – das funktioniert aber auf dem Meer nicht. Dort muss einer die Verantwortung übernehmen und für das Leben der anderen einstehen.» Er habe Düggelin deshalb mitgeteilt, dass er einen Start unter diesen Voraussetzungen nicht verantworten könne. «Dabei habe ich ihm ganz klar gesagt, dass er Captain des Projekts bleibe – ich will lediglich die Verantwortung für die Sicherheit auf See übernehmen», fährt Nagel fort.

Wollmann und Koster finden, dass Nagel für die Führung auf dem Meer prädestiniert ist. «Er ist mit seiner Erfahrung der ideale Skipper. Er kennt die Gewässer, hat in hektischen Situationen wie bei Sturm oder auf Kollisionskurs den Durchblick und kann souverän agieren», ist Friedrich Wollmann überzeugt.

Kein Vergleich mit Segelbooten
Rolf Düggelin wiederum versichert, dass das Rudern auf hoher See nicht zu vergleichen sei mit dem Segeln. Das habe ihm Samuel Widmer bestätigt – der Zurzibieter gewann Anfang 2022 mit seinem Team Swiss Raw die Talisker Whisky Challenge, das härteste Bootsrennen der Welt. «Es braucht im Ruderboot dieser Art keinen Skipper, und auch Erfahrung auf hoher See ist nicht zwingend. Die Gefährlichkeit der Überfahrt wird oft überschätzt – unser Boot ist unglaublich sicher und kann, im Gegensatz zu Segelbooten, nicht sinken», so Düggelin. Das habe ihm der erfahrene Segler Kaspar Füllemann bestätigt, der die Wise Swiss Rowers seit Beginn fachlich begleite.

Beide Seiten beharrten auf ihrem Standpunkt – und so kam es am 22. Juni zum Ende des Projekts, dem alle Beteiligten anderthalb Jahre lang alles untergeordnet hatten. Doch auch hier gibt es zwei Versionen: Koster und Wollmann beteuern, dass Rolf Düggelin an jener Sitzung aus dem Projekt ausgestiegen sei. Dies habe sie überrascht, denn «Rolf hat sehr viel Gutes getan», wie Koster erklärt. Und Nagel, der nicht anwesend war, fügt an: «Es war sein Herzensprojekt, und deshalb konnten wir seine Reaktion nicht nachvollziehen». Düggelin hingegen beteuert, dass es «ein gemeinsamer, demokratischer Entscheid der drei anwesenden Mitglieder war, das Projekt zu beerdigen». Er habe an jener Sitzung ausdrücklich nachgefragt und von beiden ein Ja erhalten.

Rudercoach Andreas Pirscher, der das Projekt eng begleitet, ist nicht überrascht von den Schwierigkeiten. Ihm sei immer klar gewesen, dass so ein extremes Projekt nicht ohne Neben­geräusche vonstattengehe: «Ich habe in dieser Situation ein Coaching angeboten.» Für Düggelin ist das jedoch keine Option mehr: «Mit Hans­peter Nagel geht es für mich nicht mehr weiter, dazu stehe ich.» Er mache sich den Vorwurf, bei der Rekrutierung von Crewmitgliedern nicht genauer hingeschaut zu haben.

Eine Frau als viertes Mitglied
Wollmann, Koster und Nagel wollen ihren Traum von der Pazifiküberquerung jedoch nicht aufgeben. «Wir trainieren seit anderthalb Jahren 15 bis 20 Stunden pro Woche und sind so gut im Saft. Es wäre schade, jetzt aufzugeben», findet Ton Koster. Er hat sogar bereits ein neues viertes Mitglied gefunden – eine Frau Mitte 50 aus Zürich. «Sie hat uns in der Vergangenheit schon unterstützt und wäre bereit einzusteigen», verrät Koster. Allerdings müsste ein neues Projekt mit einem neuen Namen gegründet werden. Andreas Pirscher bestätigt, dass er weiter dabei wäre.

Ob sie ihren Traum 2024 oder erst 2025 realisieren können, steht hingegen noch nicht fest. Das ist in erster Linie eine finanzielle Frage: Das Budget der Wise Swiss Rowers betrug 250 000 Franken. Momentan versuchen die drei, Gelder zu generieren. In den kommenden Wochen sollen gemeinsam mit Rolf Düggelin die finanziellen Fragen geklärt werden.

Einig sind sich alle nur in einem: Es ist gut, dass sie jetzt reinen Tisch machen konnten und nicht erst in einem Jahr, womöglich auf dem Meer. «Denn auf See muss man sich aufeinander verlassen können», so Hanspeter Nagel. «Das wird für uns alle eine menschliche, mentale und physische Grenzerfahrung – aber etwas Einmaliges!»