Andere Modelle denken

«Es wird viel gemacht, aber man weiss wenig voneinander», sagt Esther Egger. Deshalb setzt sich die Präsidentin des ASV für Vernetzung ein.
«Bei entsprechender Gesundheit kann man sich gut bis 80 engagieren», findet Esther Egger und lebt es vor. (Bild: cf)

«Das Alter wird zur Pioniersituation und Herausforderung – sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft.» Das sagt Altersforscher Urs Kalbermatten. Das Alter wird deshalb zur Pioniersituation, weil der Gesellschaft durch die Babyboomer-Jahrgänge in den nächsten Jahrzehnten so viele Seniorinnen und Senioren angehören werden wie noch nie. Bis 2050 wird von einer Wachstumsrate von rund 70 Prozent ausgegangen. «Im Kanton Aargau leben zurzeit mehr als 129 000 Menschen über 65 Jahre, was fast einem Fünftel der Bevölkerung entspricht», hält Landammann Jean-Pierre Gallati im Vorwort zu den kantonalen Leitsätzen der Alterspolitik fest. Seit 2013 gibt es diese Leitsätze. Ab 2021 wurden sie vom Forum für Altersfragen überarbeitet, den aktuellen Gegebenheiten angepasst und im Januar 2023 vom Regierungsrat erneut verabschiedet. Jean-Pierre Gallati: «Die Alterspolitik betrifft sämtliche Lebensbereiche der älteren Menschen, die nicht direkt mit der Langzeitpflege zu tun haben. Diese ist separat geregelt.»

Vielfältig handeln
Dass eine zukunftsfähige Alterspolitik eine Herausforderung für den Einzelnen sowie für die Gesellschaft ist, zeigt sich derzeit zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, wo deutlich mehr Menschen in Pension gehen als nachkommen, oder beim Wohnraum, wo die Verknappung nicht zuletzt eine Folge des Bestrebens ist, älteren Menschen so lang wie möglich ein Verbleiben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Neben den drei Handlungsprinzipien der Alterspolitik, «vernetzen», «kommunizieren», «weiterentwickeln», sind in den Leitsätzen fünf Handlungsfelder festgehalten: soziale Teilhabe und Partizipation; Sicherheit und Prävention; Erwerbs- und Freiwilligenarbeit; Wohnen, Mobilität und öffentlicher Raum; Beratung und Unterstützung. Für diese Anliegen setzt sich der Aargauische Seniorenverband (ASV) stark ein, der ebenfalls dem Forum für Altersfragen angehört. Der ASV orientiert sich bei seinem Tun an den kantonalen Leitsätzen und setzt zusätzliche Schwerpunkte. Diese sind im «Faktenblatt Alterspolitik» auf der ASV-Website einsehbar. Auch im Verbandsmagazin «ASV Fokus 60+» werden sie regelmässig aufgenommen.

Esther Egger aus Kirchdorf ist seit 2018 Präsidentin des ASV und ordnet als erfahrene Politikerin auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene die Bedeutung einzelner Inhalte der Leitsätze ein: «Ein zentraler Punkt ist, dass es im Altersbereich verschiedenste Akteure gibt. Es wird viel gemacht, aber man weiss wenig voneinander.» Zuständig für die Umsetzung der Alterspolitik sind die Gemeinden. Deshalb fördert der ASV zusammen mit der kantonalen Fachstelle Alter und Familie die Vernetzung. Das mit Weiterbildungen für lokale Seniorenkommissionen und weitere Interessierte. «Ein anderer Punkt ist unsere Anspruchsgesellschaft. Doch es braucht ein Geben und Nehmen.» Eine Haltung, die die 71-Jährige vorlebt. «Mein Engagement ist aufwendig. Aber es ist meine Art, mich fit zu halten. Zudem finde ich es bereichernd, etwas Gutes zu tun.» Dass diese Einstellung nicht alle älteren Menschen teilen, hat sie lernen müssen: «Ja, ältere Menschen wollen für ein Engagement ermuntert werden beziehungsweise das muss künftig wohl noch deutlicher eingefordert werden.»

Neue Altersbilder kreieren
«Die Aargauer Alterspolitik hat das Ziel, allen Seniorinnen und Senioren ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu ermöglichen», heisst es auf der entsprechenden Website des Kantons. «Dabei setzt sie auf das Potenzial der älteren Bevölkerung und verbindet die Generationen.» Die dreifache Mutter und vierfache Grossmutter Esther Egger schätzt es, ihr Wirken mit jüngeren Mitgliedern der Familie reflektieren zu können: «Wir müssen in der Alterspolitik nicht überreagieren, aber uns vorausschauend und nachhaltig den kommenden Herausforderungen stellen und uns bei den anstehenden Themen vor allem erlauben, über die gewohnten Modelle hinauszudenken.»