Die 2020 gegründete IG Oasar mit ihren Mitgliedern aus der Region Brugg/Windisch führte am vergangenen Donnerstag im Foyer des Berufs- und Weiterbildungszentrums (BWZ) Brugg einen Anlass zum Thema «Autoreduziertes Wohnen und Arbeiten im Zentrum – wie geht das?» durch. Die überparteiliche Gruppe tritt für die Klimaziele und eine zukunftsweisende Verkehrs- und Siedlungspolitik ein. In diesem Sinne befasst sie sich mit dem Stadtraum Bahnhof Brugg Windisch, für den die Testplanung betreffend die Machbarkeit der Realisierung des visionären Projekts anläuft. Die IG möchte mit Blick auf die Oase-Planung konkrete Verbesserungsvorschläge einbringen, falls die ins Auge gefasste Durchgangsstrasse durch das Brugger Aufeld bis zur Südwestumfahrung – entgegen dem Oasar-Motto «Kein Schwerverkehrskorridor durch unsere Region!» – dereinst verwirklicht werden sollte. Dabei stünde der Verzicht auf ein Tunnelportal samt Anschluss im Quartier im Fokus.
Mobilität im Wandel
Im Rahmen der Veranstaltung im Foyer des BWZ Brugg hielt nach der Begrüssung durch Moderatorin und SP-Grossrätin Luzia Capanni der ebenfalls in Windisch wohnende Verkehrsplaner Reto Candinas das erste Referat. Er erläuterte das Potenzial und die Gesetzesgrundlagen für autoreduzierte/autofreie Planungen im Kanton Aargau. Er wies darauf hin, dass 2021 in der Schweiz durchschnittlich 541 Personenwagen pro 1000 Einwohner zugelassen waren. Einer von fünf Haushalten besitze kein Auto oder keines mehr. In Basel, Bern, Lausanne und Genf nehme die Zahl der autolosen Haushalte laufend zu und übersteige zum Teil gar die 50-Prozent-Marke. Das Entwicklungsgebiet Stadtraum Bahnhof Brugg Windisch verfüge über eine hervorragende Lagequalität bezüglich öffentlicher und individueller Mobilität und eigne sich deshalb besonders für autoarmes oder gar autofreies Wohnen und Arbeiten. Autoarm bedeute durchschnittlich 0,21 bis 0,5 Parkplätze, autofrei 0 bis 0,2 Parkplätze pro Wohneinheit. Sein Fazit lautete, dass in beiden Gemeinden die Grundvoraussetzungen dafür vorhanden seien. Vorteile ergäben sich in folgenden Bereichen: Reduktion des motorisierten Individualverkehrs auf dem lokalenStrassennetz und entsprechende Senkung der Infrastrukturkosten, weniger Lärm und bessere Luft, mehr Grün- und Freiräume für die Bevölkerung, Realisierung kantonaler und kommunaler Strategien und Zielsetzungen. Investoren könnten von hohen Kosteneinsparungen profitieren, Mietende von deren zumindest teilweiser Weitergabe, Familien von belebteren Quartieren mit weniger Gefahren und mehr Platz zum Spielen. Hinzu käme mehr Bewegung dank Förderung des Velo- und Fussverkehrs. Positiv würden sich die demografische Entwicklung, der technische Wandel mit Digitalisierung – zum Beispiel Homeworking – und der zunehmende Sinneswandel bezüglich Klimaveränderungen auswirken. Zusätzlich zielen Vorgaben im Baugesetz und in den Baubewilligungsverfahren auf Anpassungen im Mobilitätssektor ab.
Erfahrungen aus 15 Jahren
Samuel Bernhard, Projektleiter Plattform autofrei/autoarm wohnen und selbstständiger Mobilitätsberater mit Büro in Basel, ging konkret auf die sich bietenden Möglichkeiten ein. Er bezeichnete das Teilgebiet Bahnhof Süd des Stadtraums Brugg/Windisch – notabene das grösste Entwicklungsprojekt in unmittelbarer Bahnhofsnähe im Kanton Aargau – als optimal für die Ansiedlung von rund 2000 Einwohnern und bis zu 3000 Arbeitsplätzen mit Reduktion des motorisierten Individualverkehrs. Die Testplanung unter Mitwirkung der Bevölkerung solle zeigen, welche Bebauung angemessen sei und wie das heute stark industriell geprägte Gebiet in ein urbanes Quartier mit attraktivem Nutzungsmix und hoher Aufenthaltsqualität transformiert werden könne. Der weitgehende Verzicht auf Parkplätze und die Konzentration auf umweltfreundliche Lösungen müssten mit der Gemeinde baurechtlich und mit den Bewohnern – auch allfälligen Wohnbaugenossenschaftern – vertraglich festgehalten und abgesichert sein. Bernhard betonte unter dem Stichwort «Chance nutzen!», einen Standort mit einer solchen Qualität gebe es im Grossraum Brugg/Windisch nur einmal. Zur Unterstreichung der Bedeutung präsentierte er unter anderem gemäss seinen Statements erfolgreich umgesetzte Beispiele aus Ostermundigen, Zürich-Leutschenbach, Winterthur und Aegerten BE. Als Empfehlungen an die Verantwortlichen nannte er das Ernstnehmen der Partizipation der Bevölkerung, eine stufenweise und qualitativ hochstehende Entwicklungsplanung, die Beachtung von Marktrisiken, eine etappenweise Realisierung, die Zulassung unterschiedlicher Nutzungs- und Eigentümerformen mit einem Anteil gemeinnützigem Wohnungsbau, im Grundsatz autoarme Konzeption, Einbettung und Verankerung eines Mobilitätsmanagements für den individuellen Personentransport (MIV).
Aus dem Publikum, das diverse Aussagen mit Applaus bedachte, waren unter anderem Stimmen zu vernehmen, die ein radikales Umdenken in der Siedlungs- und Verkehrspolitik wünschen. Auf der Plattform autofreies/autoarmes Wohnen (wohnbau-mobilitaet.ch) sind Grundlagen, Beispiele, Beratung und weitere Themen zu finden.