Eine warme Dusche für Veloreisende

Die Organisation Warmshowers vermittelt kostenlose Übernachtungen für Radreisende weltweit. Das Konzept im Selbsttest.
Moh aus Riad kurz vor seinem Aufbruch aus Untersiggenthal im strömenden Regen. (Bild: mpm)

Ein Sprichwort aus China beschreibt den Grundgedanken von Warmshowers, einer Plattform für Velofahrende von Velofahrenden, treffend: «Wer zu Hause keine Besucher empfängt, wird in der Fremde keinen Wirt haben.» Hinter dem Konzept steht die Idee, dass man sein Zuhause kostenlos für Radfahrerinnen und Radfahrer öffnet, wenn diese eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Und im Gegenzug kann man bei einer eigenen Radreise ebenso kostenlos bei anderen Mitgliedern der Organisation unterkommen. Weltweit.

«Da mache ich mit», habe ich mir gedacht, als ich von dieser Organisation gehört habe. Denn: Ich bin gerne Gastgeberin, mein Mann passionierter Velofahrer, und für die Kinder ist es eine Gelegenheit, Offenheit gegenüber anderen Menschen und Kulturen zu lernen. Alle sind einverstanden, und so ist ein Profil schnell erstellt: Name, Ort, eine kurze Beschreibung, wie ich den Gast zu beherbergen gedenke (beispielsweise im Zelt im Garten, auf der Couch, im eigenen oder geteilten Zimmer oder auf einer Matte auf dem Boden) und welche Annehmlichkeiten ich bereitzustellen bereit bin. Nach dem Begleichen einer Gebühr von 30 Franken geht es los.

Keine Regeln, nur Guidelines
Allerdings stutze ich mit meinem Juristenhirn zunächst etwas: Eigentlich bin ich ja dann plötzlich eine Herberge für fremde Menschen, und dafür gibt es doch Regeln? Ausländergesetz, Gastgewerbegesetz, Meldepflichten, hygienische Vorschriften, Feuerschutzvorschriften, um nur einige zu nennen. Mir graut bereits vor den Konsequenzen, sollte ich mich durch diesen juristischen Dschungel kämpfen müssen. Aber rasch zeigt sich: Alle einschlägigen gesetzlichen Regeln gelten für das gewerbsmässige Beherbergen von Personen. Erleichtert seufze ich auf, stocke dann aber gleich wieder: Wie ist das mit den Versicherungen? Haftpflicht? Unfall? «Ich bin wohl einfach zu wenig spontan», denke ich und verweise die Juristin in mir auf die stille Bank. Denn immerhin machen inzwischen weltweit 185 000 Personen mit, und die Organisation feiert dieses Jahr 30 Jahre seit der Gründung durch ein kanadisches Paar. Allein in der Region um Untersiggenthal hat Warmshowers ein gutes Dutzend Mitglieder.

Natürlich bin ich anfangs etwas nervös und unsicher. Ich öffne mein Zuhause für Fremde, von denen ich im besten Fall ein Foto, die Adresse und ein paar Bewertungen habe. «Aber auf dem Zeltplatz ist man ja auch nur eine Zeltplane von den Fremden nebenan entfernt», so meine Überzeugung, und ich freue mich, als sich eine fünfköpfige Familie aus Neuseeland anmeldet.

Die Kinder sind 6, 10 und 12 Jahre alt. Da sie im Homeschooling unterrichtet werden, kann die Familie mehrere Wochen lang durch die Schweiz radeln, um Bekannte und Verwandte zu treffen und das Land zu erkunden. Ein sehr unterhaltsames Abendessen überzeugt mich schliesslich vollends von dem Projekt, denn: so viel kultureller Austausch ist ohne eine Reise normalerweise nicht zu bekommen.

Ein Bein als Gesprächsstarter
Ghandi, ein Engländer, kommt auch nicht ganz allein: Vielmehr hat er auf den Gepäckträger das Bein einer Schaufensterpuppe geschnallt, samt farbig geringelter Strumpfhose. Das sei einfach eine Kuriosität, die ihn auszeichne, meint er lachend, ein gutes «Conversation Piece», also ein guter Start für ein Gespräch. Das Bein, «The Leg» genannt, sei ursprünglich eine Lampe mit Lampenschirm gewesen, ein Geschenk einer Freundin – der Schirm sei unterwegs verloren gegangen. Interessanterweise habe ihn nie jemand komisch angeschaut, als das Bein noch den Lampenschirm gehabt habe, aber mit dem Bein allein errege er sehr viel Aufsehen. Ich muss gestehen, auch ich bin etwas irritiert.

Der nächste Gast ist Moh, ein Mathematiklehrer aus Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens. Er strahlt übers ganze Gesicht, als er bei uns ankommt, und zeigt lachend auf sein T-Shirt, auf dem er den QR-Code seines Couchsurf-Accounts abgedruckt hat, mit dem Zusatz: «Du chasch mi in Saudi Arabie bsueche und gratis bi mir wohne.» Ein Freund hat ihm den Spruch übersetzt – denn es ist ihm wirklich wichtig, dass Menschen zu ihm kommen und sein Land kennenlernen.

Die Schweiz als Paradies
Schon nach kurzer Zeit unterhalten wir uns über die unterschiedlichen Kulturen in der Schweiz und in Saudi-Arabien. Die Schweiz ist für ihn das Paradies, denn selbst wenn er ein wohlhabender Bürger Saudi-Arabiens ist, so ist sein Alltag trocken, braun und heiss. «Bei euch ist alles grün und fruchtbar, der Wind rauscht in den Blättern», meint er begeistert. Sogar der Regen gefällt ihm, dabei schüttet es bei seiner Abfahrt wie aus Kübeln.

Die Erfahrungen mit Warmshowers zeigten mir eindrücklich, wie wichtig es ist, ab und zu die eigene Komfortzone zu verlassen und sich auf ein «Abenteuer» einzulassen. Ich habe innerhalb kurzer Zeit Menschen aus drei Kontinenten getroffen und bin mit unterschiedlichen Glaubensbekenntnissen, Bräuchen und Gewohnheiten in Kontakt gekommen. Gemeinsam war allen die Freude am Reisen und Velofahren, die Offenheit gegenüber anderen Menschen und die Bereitschaft, sich auf ebendiese einzulassen. Und, wie Moh mir erklärt: «Man muss reisen, um zu sehen, was man selbst zu Hause hat – nur dann merkt man, wie gut es einem wirklich geht.»

warmshowers.org