Erste Million fürs Notkraftwerk

In Kürze stellt die Gemeinde Birr der General Electric die erste von vier Ratenrechnungen für die «Duldung» des Notkraftwerks.
Sieben der acht mobilen Ölgasturbinen des Notkraftwerks in Birr wurden mittlerweile mit Schallschutzdämpfern nachgerüstet, sie dürften dadurch weniger Lärm verursachen als ursprünglich angenommen. (Bild: hpw)

Das kommt der finanziell nicht verwöhnten Gemeinde Birr, die in diesem Jahr 1,9 Millionen Franken Finanzausgleich bezieht, gerade recht: Sie erhält für das im letzten Winter auf dem Industrieareal der General Electric (GE) erstellte Notkraftwerk eine Abgeltung von insgesamt vier Millionen Franken, aufgeteilt in Jahresraten von je einer Million. Für die erste Tranche wird Birr der GE in Kürze eine Rechnung stellen, wie Gemeindeammann René Grütter auf Anfrage bestätigte. Die Dorfbevölkerung wurde im Juli-Mitteilungsblatt der Gemeinde über die vereinbarten Modalitäten informiert.

«Duldung» des Notkraftwerks
Die Bundesbehörden und der Technologiekonzern GE unterzeichneten im September 2022 einen Vertrag für die Erstellung und den Betrieb des temporären Kraftwerks in Birr bis ins Jahr 2026. Die acht mobilen Diesel- oder Gasturbinen mit einer Gesamtleistung von 250 Megawatt sollten eine allfällige Stromlücke im Winter 2022/23 und später überbrücken. Wegen des damals revisionsbedingten Stillstands von fast der Hälfte der französischen Kernkraftwerke und aufgrund des Ukrainekriegs wurde vor Jahresfrist eine kurzzeitige Mangellage befürchtet. Notrechtliche Verfügungen ermöglichten den Bau der Anlage in Rekordzeit. Der Bund verzichtete auf die öffentliche Ausschreibung des Baugesuchs und lockerte die Vorschriften zur Luftreinhaltung und zum Lärmschutz. 

Letztlich bezahlt der Bund
Der Kanton Aargau liess in der Vernehmlassung zu den Bundesmassnahmen keine Zweifel offen, dass das Notkraftwerk mit einem Verbrauch von 70 000 Litern Diesel pro Stunde eine Belastung für die Bevölkerung und die Umwelt darstellt. Er lehnte zwar, so wie die Gemeinde Birr, das Grossprojekt im Interesse der Versorgungssicherheit nicht ab, wies aber den Bund auf Paragraf 20 des aargauischen Energiegesetzes hin, wonach den Standortgemeinden von grossen Energieerzeugungsanlagen eine Abgeltung in Aussicht steht. Die Bundesinstanzen nahmen die kantonale Entschädigungsregelung etwas überrascht zur Kenntnis. Aber sie wehrten sich nicht ernsthaft dagegen, weil sie keinen projektverzögernden Disput riskieren wollten und schliesslich froh waren, dass die Bereitstellung des Kraftwerkstandorts Birr zügig vorankam. Offen blieb zunächst, wer die finanzielle Abgeltung zu leisten habe. Infrage kamen die Firma Axpo Solutions als Verkäuferin des Stroms, die GE als Betreiberin des Kraftwerks und der Bund als Auftraggeber der Notanlage. Axpo Solutions sah sich nicht in der Pflicht. 

Nach einigem Hin und Her trafen der Bund, GE und die Gemeinde Birr im Juli folgende Vereinbarung: Birr stellt der GE jährlich pro rata Rechnung, die Firma bezahlt den eingeforderten Betrag von 2023 bis 2026 und bekommt ihn vom Bund rückvergütet. Die Entschädigung besteht aus einem fixen Teil von einer Million Franken pro Jahr und einem variablen Teil von 250 Franken pro volle Betriebsstunde, bis zum maximalen Betrag von 0,3 Millionen Franken. Die erste fixe Zahlung wird demnächst fällig. Sie bedeutet für Birr eine in diesem Jahr nicht veranschlagte, aber willkommene Verbesserung des Finanzhaushalts. Ab 2024 wird die Abgeltung regelkonform budgetiert.

Was macht Birr mit dem Geld?
Der Gemeinderat erwägt, drei Viertel des Erlöses in die Gemeindekasse zu leiten und einen Viertel einem neuen Fonds für spezielle Aufgaben zugunsten der Bevölkerung zuzuweisen: «Nichts Luxuriöses, aber eventuell etwas Besonders für die Jugend.» Laut Gemeindeammann Grütter wird sich die Behörde an ihrer Klausur im September vertieft damit befassen und der Gemeindeversammlung im November einen Vorschlag unterbreiten. Rund um das Reservekraftwerk besteht noch weiterer Informationsbedarf, zum Beispiel zum aktuellen Stand der Lärmschutzmessungen und -massnahmen sowie zur Verschönerung der 20 Meter hohen Lärmschutzwand.

Sieben der acht Turbinen wurden inzwischen mit Schallschutzdämpfern ausgerüstet, beim achten Aggregat laufen die Arbeiten. Weitere Isolationsmöglichkeiten werden geprüft. Demnächst erfolgt die offizielle Abnahme der Lärmschutzmassnahmen. Man könne davon ausgehen, dass die ursprünglich angenommenen maximalen Lärmwerte unterschritten würden, sagt Gemeindeammann Grütter. Die rund 40 Messstellen in der Gemeinde werden auf 15 Stationen reduziert. Die nächstgelegenen Messpunkte befinden sich in der Wohnsiedlung Wyden und beim Schulzentrum Nidermatt. Falls das Kraftwerk in Betrieb käme, was voraussichtlich in den Strombedarfsspitzenzeiten zwischen 10 und 16 Uhr geschähe, würde die Bevölkerung am Vortrag auf der Homepage der Gemeinde informiert. Noch sind allerdings elf Einwendungen gegen die erteilte Betriebsbewilligung beim Bundesverwaltungsgericht hängig.

Kunst am Bau geplant
Die Absicht des Gemeinderats Birr, die 20 Meter hohe Lärmschutzwand von Künstlern verschönern zu lassen, lasse sich nicht von heute auf morgen umsetzen, wie Grütter bestätigt. Zehn Künstler reichten Vorschläge im Kostenrahmen von einigen Zehntausend bis zu mehreren Hunderttausend Franken ein. Aber die Option, wonach die Gemeinde diese Kunst am Bau auswählt und sie von der GE bezahlen lässt, ist noch nicht in trockenen Tüchern. Die Lärmschutzwand gehört GE. Dem Vernehmen nach ist man miteinander im Gespräch.

Unterdessen richtet die Gemeindebehörde von Birr den Blick in die nähere Zukunft – auf das bis im Februar laufende Bewerbungsverfahren des Bundes für den Bau von zwei bis drei definitiven Reservegaskraftwerken in der Schweiz. Dabei rückt Birr wieder als möglicher Standort in den Fokus. Die Ansaldo Energia Switzerland, die auf der Südseite des GE-Fabrikkomplexes auf dem Birrfeld bereits zwei Gasturbinentestanlagen betreibt, bekundet Interesse am neuen Projekt. Der Standort an sich wäre für Birrs Wohnquartiere und die Schulanlagen vorteilhafter als der jetzige Platz des Notkraftwerks auf der Nordseite der Industrieanlage.