Im Rollstuhl auf der Partymeile

Im Rollstuhl an die Badenfahrt – geht das? Matthias Weber ist skeptisch: Bisher hat er schlechte Erfahrungen gemacht. Nun ist er überrascht.
Matthias Weber wagt sich mit der «Rundschau» auf Tour durch das Festgebiet – und ist positiv überrascht: «Im Vergleich zu 2017 hat sich bezüglich Rollstuhlgängigkeit einiges getan.»

Matthias Weber steht mit seinem Elektrorollstuhl mitten im Getümmel im Lunapark. Hinter ihm liegt ein riesiger Plüschtiger auf einem Kinderwagen, und der 35-Jährige sagt strahlend: «Machen Sie bitte ein Foto von mir und dem Tiger!» Weber ist seit Geburt körperlich beeinträchtigt und aufgrund seiner Zerebral­parese auf einen Rollstuhl angewiesen. Obwohl er im Alltag sehr selbstständig unterwegs ist und an einem geschützten Arbeitsplatz als Büropraktiker im Zentrum für Körperbehinderte Aargau (Zeka) in Dättwil tätig ist, war die Badenfahrt für ihn aufgrund bisheriger Erfahrungen ein Reizthema. Der Tiefpunkt war beim letzten Fest im Jahr 2017 erreicht: Weber blieb mit seinem Rollstuhl – total gegen 300 Kilogramm! – im Holzschnitzelboden des Lunaparks in der Aue stecken. «Vier Männer mussten mich anheben und heraustragen», erzählt der gebürtige Wildegger und fügt an: «Auch mit einem Kinderwagen hatte man in diesem Boden keine Chance.»

Eigentlich war das Thema Badenfahrt für Weber damit gestorben, denn «offensichtlich nimmt man automatisch an, dass Leute im Rollstuhl nicht zur Party gehen». Bereichsleiterin Doris Kehl schrieb danach dem Organisationskomitee eine E-Mail bezüglich der sehr eingeschränkten Möglichkeiten für Rollstuhlfahrende. Ob sich dadurch etwas verbessert hat? Weber ist gespannt, als er am Samstag an der Bushaltestelle Dättwil Dorf wartet. Ohne Begleitung hätte er das Abenteuer nicht gewagt. Bei grossem Gedränge sei es praktisch unmöglich, allein durch die Menge zu fahren, sagt er. «Jemand, der neben dem Rollstuhl hergeht und falls nötig helfen kann, ist schon eine Erleichterung.» Schon bei der Ankunft am Bahnhof West ist Weber überrascht: Ein paar junge Männer bieten Hilfe beim Aussteigen an. «Das passiert sonst kaum.»

Nur Treppen führen von der Pier
Die Route haben wir vorher festgelegt: Bahnhof–Kurpark–Lunapark. «Dass ich nicht auf die Bahnen gehe, ist ja klar. Aber ich kenne einige Schausteller persönlich und mag die Atmosphäre einfach», sagt Matthias Weber. Den Weg in die Innenstadt kennt der Dättwiler aus dem Effeff und kurvt geschickt durch den Metroshop, wo um 17.30 Uhr schon reges Treiben herrscht. Ziel ist die aus Holz gebaute Pier, das Tor zum Volksfest für alle Ankommenden. Ein Blick aus seiner Perspektive auf die eindrückliche Konstruktion macht schnell klar: Zwei grosse Treppen führen hinunter, aber kein Lift. «Das schenken wir uns», sind wir uns einig.

Dennoch erleben wir auf dem unteren Bahnhofplatz die zweite positive Überraschung: Gleich die erste Festbeiz, das Macchu Picchu mit peruanischen Spezialitäten, ist ebenerdig. «Hier könnte man gut einkehren», sagt Matthias Weber erfreut. Aber erst mal noch mehr entdecken.

Über das schmale Trottoir rechter Hand geht es hinunter Richtung Casino-Kreisel in den Kurpark. Dort stehen zwei Orte auf dem Plan von Matthias Weber: die Festbeiz 05IVE06IX der Quartiervereine von Rütihof und Dättwil sowie die «Piazza Piante» von Pfadi, Jungwacht und Blauring. «Ich habe gehört, dass die Pfadi in einer Zeitung gesagt habe, ihr sei es wichtig, alles rollstuhlgängig zu machen.» Tatsächlich ist die «Piazza Piante» ebenerdig, aber auf Grasboden. Deshalb verzichten wir auf einen Besuch. Zudem wird es langsam voller.

Vom «05IVE06IX» erhofft sich Weber, dass es ebenfalls rollstuhlgängig ist. «Schliesslich ist das Zeka in Dättwil zu Hause, und die Betreiber sollten für das Thema Inklusion sensibilisiert sein», findet der 35-Jährige.

Erfreut erblickt er bei der Festbeiz eine Rampe, die zur Bar führt. Doch: Der Weg weiter ins Restaurant ist nur über eine Schwelle möglich. Matthias Weber ist enttäuscht: «Da nützt alles nichts, wenn man uns hochlockt, aber es dann nicht weitergeht», sagt er und setzt die Entdeckungsreise über die asphaltierten Wege im Kurpark fort. Er ist froh, dass Kabel und Schläuche mit sogenannten Kabelbrücken überwindbar sind. Positiv fällt ihm ein Behinderten-WC auf – aus dem gerade eine nicht beeinträchtigte Besucherin kommt.

Eine eigene Rollstuhlspur?
Durch die breite Gartenstrasse er­reichen wir das Ziel, den Lunapark. Keine Holzschnitzel, dafür ein gut passierbarer Asphalt- und trockener Grasboden machen den Besuch mit Rollstuhl problemlos möglich. Weber freut sich und möchte entgegen seines Plans weitere Festgebiete erkunden.

Beschwingt geht es weiter, die Parkstrasse runter zum Mättelipark und von dort wieder die Bäderstrasse hoch. «Die Menschen verteilen sich hier wirklich gut», lobt Matthias Weber. Das letzte Teilstück vor dem Ausgangspunkt wird nochmal zum Prüfstein: beidseits enge, überfüllte Trottoirs, und die Strasse ist für Autos reserviert. Schön wäre eine eigene Spur für Rollstühle, denkt die Journalistin. Weber trägts mit Fassung: Geduldig rollt er im Menschenstrom und wartet, bis man ihn bemerkt und Platz macht. Dass er mit seinem Gefährt auch mal jemanden in die Ferse fährt, ist kaum zu verhindern. «Aber dann entschuldige ich mich, und die meisten haben Verständnis.»

Zurück bei der Pier beendet Matthias Weber nach über zwei Stunden den Badenfahrt-Trip freiwillig. Sein Fazit ist positiv: «Es war ein toller Ausflug. Im Vergleich zu 2017 hat die Badenfahrt wahnsinnige Fortschritte gemacht.» Vielleicht komme er wieder. «Ich würde gern noch die Badstrasse besuchen.»