Tiertherapie oder Schutzzone

Kreditbegehren im Umfang von 4,1 Millionen Franken und Fragen zur Lägernschutzzone stehen auf der Traktandenliste des Einwohnerrats.
Die Familie Sozzi bietet auf ihrem Bauernhof Bergstrasse 77 tiergestützte Therapien an. Diesen Betriebszweig soll eine Stiftung übernehmen, was die Schaffung einer baurechtlichen Spezialzone bedingt. (Bild: bkr)

3,47 Millionen Franken für die Sanierung der Tägerhardstrasse West samt Werkleitungen und 630 000 Franken für den Ersatz eines Tanklöschfahrzeugs (TLF) waren in der Finanzkommission unbestritten – und dürften es am 7. September ebenfalls im Ratsplenum sein. Zumal bei der Strasse 1,4 Millionen Franken vom Eigenwirtschaftsbetrieb Abwasser berappt werden müssen und die Gebäudeversicherung das TLF mit 165 000 Franken subventioniert. Mehr zu reden – und das auch in der Bevölkerung – gibt der Antrag auf eine Teiländerung der Nutzungsplanung Kulturland, die mit der Schaffung einer «Spezialzone Berg» verbunden ist. Solche Änderungen, die immer einer kantonalen Bewilligung bedürfen, stehen im Aargau dann und wann an. Der Wettinger Fall ist insofern speziell, als sich der «Berg», die Bergstrasse, im Perimeter des Lägernschutzdekrets befindet.

Folgenschwere Verlagerung
Worum geht es? 1984 hat die Familie Eva und Luz Sozzi den Hof Bergstrasse 77 erworben, saniert und neben der eigentlichen Landwirtschaft mit einem Angebot tiergestützter Therapien begonnen. Dieses «Start-up» hat sich zu einer regional bedeutsamen Institution im Bereich der pferdegestützten Therapie entwickelt, die sozial benachteiligten, psychisch kranken oder körperlich beeinträchtigten Menschen Entwicklungsunterstützung bietet. Auch Alters- und Pflegeheime aus der Region gehören zu den Klientinnen. Als Betriebszweig des Sozzi-Hofs ist das raumplanungsrechtlich unproblematisch. Nun aber soll der Hof an die nächste Generation übergeben und der Therapieteil in die bereits 2013 gegründete Stiftung Begegnung mit Tieren ausgegliedert werden. Dieser Schritt macht das Therapieangebot «zonenfremd». Hinzu kommt, dass die Abspaltung Bauten (Stallungen unterhalb des heutigen Hofs) für die Stiftung bedingt, die in keinem direkten Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Aktivitäten stehen.

Kanton und Gemeinderat sind der Auffassung, dass «das grosse öffentliche Interesse am Therapieangebot» eine baurechtliche Ausnahme vertretbar mache. Weshalb die Stiftung nicht an einem anderen Standort ansiedeln? Dazu Gemeindeammann Roland Kuster: «Wir haben schlicht keinen gefunden – zonenrechtlich wäre ein solcher nur im Gewerbe- und Industriegebiet möglich.» Wichtig zudem: Die Ausnahmeregelung für die Stiftung gilt nur so lange, wie diese am «Berg» ihrem Zweck nachkommt – andere Nutzungen sind auf alle Zukunft hinaus ausgeschlossen.

Keine Vetternwirtschaft
Die Auffassung von Kanton und Gemeinderat teilen verschiedene Bürgerinnen und Bürger nicht. Als die Einsprachen behandelt waren und der Einwohnerrat hätte entscheiden können, kam es zu einer Aufsichtsbeschwerde gegen den Wettinger Gemeinderat. Dessen Mitglied Sandro Sozzi (Mitte) ist der Sohn von Eva und Luz Sozzi – sein Gemeinderatskollege Martin Egloff (FDP) hat einen Bruder, der in die Planungen der Stiftung involviert ist. Honi soit qui mal y pense (beschämt sei, wer schlecht darüber denkt)? Der Regierungsrat jedenfalls hat die Beschwerde abgewiesen. Sozzi wie Egloff waren bei der Behandlung des Geschäfts nachweislich in den Ausstand getreten.

Sagt der Einwohnerrat Ja zur «Spezialzone Berg» (die Geschäftsprüfungskommission empfiehlt ihm das mit 5 gegen 2 Stimmen), dürfte das Projekt der Stiftung Begegnung mit Tieren noch nicht in trockenen Tüchern sein. Die Stiftung Pro Natura hat bereits angedroht, einen positiven Entscheid des Gemeindeparlaments anzufechten.