Bub im Baby-Buggy unter Zombies

In der Rubrik «Querbeet» beleuchten namhafte Autorinnen und Autoren ein von ihnen gewähltes Thema – und sorgen damit wöchentlich für Inspiration.

Haben Sie das Gefühl, es wird besser? In den nächsten fünf bis zehn Jahren? Gestatten Sie mir eine Beobachtung aus dem Supermarkt:

Eine Frau mit Kinderwagen geht durch die Auslagen mit buntem Gemüse und farbigen Früchten, prüft mit Fingern Aprikosen und Tomaten, ob sie fingermatschig sind und so weiter. Der Bub im Baby-Buggy regt sich nicht, schaut nirgendwohin, heischt in keinem Augenblick nach der Aufmerksamkeit der Mutter. Da sitzt er, still, trotz voller Windeln, betört und seelenruhig – ein Handy vor der Nase. Es funktioniert: Filmchen heranwischen mit Juxfiguren – und der sonst zur Tobsucht neigende Strick wird zum Narkoseengel. Wer verstünde nicht die Mutter? Draussen irren lauter Lebendtote durch die Gegend, das Handy vor leeren Augenhöhlen … wir sollen uns gefälligst daran gewöhnen. Ein kleinerer Knilch mit Handy aber ist mir im Leben noch nicht begegnet – vielleicht, weil ich mich schwer daran gewöhne.

Tschuldigung, wenn ich deshalb kurz in die Zukunft blinzle, getreu der onkelhaftesten aller Phrasen: «Die Kinder sind unsere Zukunft.» Mir skizziert sich aber nicht «un-sere», sondern lediglich die Zukunft dieses einen Knaben: mit einem Jahr handysüchtig. Mit zehn Jahren nervenkrank, erste Einweisung in die Jugendpsychiatrie. Mit 20 suizidgefährdet wegen des Vakuums in Herz, Kopf und Seele. Mit 30 tot.

Folgende Notiz aus den USA fand sich dieser Tage in der NZZ: «Die Suizidrate der 10- bis 24-Jährigen ist in den USA um 52 Prozent gestiegen. Der grösste Anstieg erfolgte zu Beginn der 2010er-Jahre, parallel zum Aufkommen von Smartphones und der Social Media.» Verheerend in den USA sind zurzeit auch die «Tranq-Dope-Raten» der Erwachsenen – wegen neuer Tech-Drogen, Fentanyl etwa. Süchtige schwanken mit kraftlosem Oberkörper und erloschenem Bewusstsein vornüber. Zombie-Filmgestalten bevölkern real die Strassen. Und wirken wie Verwandte der Süchtigen nach Handy-Hypnose.

Male ich zu düster? Unbedingt erwähnt sei das Positive – es gibt ein einfaches Mittel gegen den Schwund an Bewusstsein und Gefühl: sich mit keiner Faser an den Lebensentzug der Moderne gewöhnen.

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