«Dieses Thema geht uns alle an»

Marta Pfister engagierte sich von Anfang an für das Frauenhaus Aargau-Solothurn. Gestartet ist es vor 40 Jahren in einer Wohnung in Windisch.
Engagierte sich für die Sicherheit von Frauen: Marta Pfister vor dem ehemaligen Frauenhaus in Windisch. (Bild: ab)

Das erste Frauenhaus im Aargau war 1983 in einer Wohnung in Windisch einquartiert. Der Standort war streng geheim. Nur die Polizei, die Sozialarbeiterinnen und der Stiftungsrat waren eingeweiht. Marta Pfister aus Riniken, Stiftungsrätin der ersten Stunde, erinnert sich an die Gründung vor 40 Jahren, als im Aargau nach Genf und Zürich das dritte Frauenhaus der Schweiz entstand.

Gewalt als Normalität
Viele wollten es damals nicht wahrhaben, dass Gewalt in der Ehe ein Pro­blem darstellte. Dieses Bild der Familie als unzerstörbare Einheit war fest in den Köpfen verankert. Marta Pfister wusste um die andere Realität: In der Gemeinschaftspraxis ihres Mannes in Brugg an der Paradiesstrasse waren Frauen mit blauen Flecken und Würgemalen keine Seltenheit. In der Unfallmeldung an die Suva stand dann zum Beispiel: vom Ross gestürzt. Prägend waren für Marta Pfister zudem die Worte ihrer Mutter zu diesem Thema. Hatte sie sich über Martas Vater geärgert, sagte sie: «Schau, er trinkt nicht, er hurt nicht, und er schlägt nicht!» Damit wurde der Tochter klar, dass Gewalt in anderen Familien durchaus eine Normalität war, selbst in ländlichen Gegenden, wo man damals, in den 50er-Jahren, alles voneinander wusste.

Überzeugungsarbeit war auch beim Aargauischen Katholischen Frauenbund (AKF) angesagt. Marta Pfister musste zusammen mit der Präsidentin Agnes Schweizer den Vorstand überzeugen, dass es ein Haus für gewaltbetroffene Frauen als Schutzraum unbedingt braucht und der AKF hier mitmachen muss. Ihr Argument lautete: «Man kann dieses Thema nicht einfach den Linken überlassen. Das geht die ganze Gesellschaft etwas an.»

Als Stiftungsrätin lag es an ihr, Geld vonseiten des AKF zu organisieren für das Projekt, das ihr so sehr am Herzen lag. Marta Pfister reiste quer durch den Kanton, besuchte unzählige Frauenvereine und Kirchgemeindeversammlungen, stellte das Frauenhaus vor und bat um die Aufnahme in den Kollektenplan. Als Folge ihres Engagements wurden Spendenaktionen vorbereitet, und mittels Vorträgen wurde viel Überzeugungs- und vor allem Aufklärungsarbeit geleistet.

Sicherheit und Unterstützung
Einmal sagte ihr ein Mann: «Jetzt verstehe ich, um was es geht – es geht nicht darum, die Familien auseinanderzubringen, sondern im Gegenteil darum, die Familie zu schützen.» Das kam ihr entgegen. Denn damals war der Widerstand gegen das von Marta Pfister initiierte Projekt gross. Es galt, viele Vorurteile zu überwinden. Wer sich damals scheiden liess, wurde geächtet.

Geld zu sammeln für die unangenehme Wahrheit, dass es im Aargau ein Frauenhaus braucht, war nicht einfach. Doch Marta Pfister überzeugte mit dessen Konzept: Im Frauenhaus könnten Frauen und Kinder etwas zur Ruhe kommen, seien in Sicherheit und erhielten persönliche Unterstützung von Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen und weiteren Fachpersonen, so ihre Argumentation.

Erstes Haus in Windisch
Zehn Jahre lang setzte sich Marta Pfister im Stiftungsrat Frauenhaus Aargau-Solothurn ein. Und fast wäre sie zur Frauenhausbesitzerin geworden. Als sich die Möglichkeit ergab, das in den Anfängen in Windisch gemietete Haus mit Garten zu kaufen, tat sich der Stiftungsrat schwer. War das finanzielle Risiko nicht zu gross? Schliesslich war das Frauenhaus Aargau immer sehr knapp bei Kasse. Für Marta Pfister war die Zukunft des Frauenhauses eine Herzensanliegen. Sie wäre bereit gewesen, eine allfällige spätere Erbschaft dafür einzusetzen. Glücklicherweise konnte die Raiffeisenkasse mit ihrem sozialen Fonds günstige Konditionen anbieten. Und so kaufte der Stiftungsrat das Haus.

Im Jahresbericht 1984 heisst es, dass 67 Prozent der Frauen, die im Frauenhaus Schutz suchten, Gewalt von ihrem Schweizer Ehemann erfuhren. Es galt in dieser Zeit, ein Bild zu korrigieren, das besagte, dass vor allem Ausländer gewalttätig seien.

Nationalität spielt keine Rolle
Die Frage, ob das Frauenhaus stärker von Schweizerinnen oder Ausländerinnen beansprucht werde, gehe an der Realität vorbei, findet Marta Pfister. Sie erzählt, dass Schweizerinnen oft ein Beziehungsnetz vor Ort hätten. Sie könnten woanders unterkommen und auf Freunde und Verwandte zählen. Ausserdem gibt es den Ausweg, dass, wenn eine Frau finanziell besser gestellt ist, diese zum Beispiel ins Ferienhaus zieht oder eine eigene Wohnung mietet und Arbeit findet.

Dass es das Frauenhaus Aargau, das mittlerweile nicht mehr in Windisch situiert ist, nach wie vor braucht, ist für die 81-Jährige keine Frage. «Leider», meint sie und verweist auf eine Kolumne, die jüngst in der NZZ erschien und den Titel trug «Zu Hause leben Frauen mit Abstand am gefährlichsten».