Reichhaltiger Businesskick zum Frühstück

Getreu ihrem Leitsatz verhelfen sich BNI-Mitglieder gegenseitig zu Aufträgen. Cleveres Marketing oder Wirtschaftsklüngel?
«Es ist alles eine Frage der Motivation»: Chapter-Director Ole Bull (stehend) hat soeben den kleinen «Oscar» für die beste Kurzpräsentation verliehen. (Bild: CD)

Ein Freitagmorgen um 6.15 Uhr. Am Empfang im Süssbach Pflegezentrum hat sich eine Gruppe Männer eingefunden. Während andere den Wecker nochmals snoozen, treffen sich die Mitglieder von BNI Wasserschloss, um sich gegenseitig mit Aufträgen zu versorgen. Auf die Anfrage, ob der Pressebesuch eines BNI-Meetings möglich sei, kam die Antwort postwendend und mit konkreter Einladung: Gerne!

Seit 2021 gibt es BNI auch in der Region. Das 1985 gegründete Business Network International (BNI) ist eine internationale Netzwerkorganisation für Unternehmerinnen und Unternehmer. In einer der weltweit grössten nicht-virtuellen Unternehmervereinigung treffen sich die Mitglieder in sogenannten Chapters – so werden die regionalen Gruppen der Geschäftsleute innerhalb der Vereinigung genannt – einmal wöchentlich frühmorgens. Die Meetings verlaufen dabei auf der ganzen Welt gleich und nach einem bestimmten Schema. Im Süssbach holen sich die Mitglieder von BNI Wasserschloss, ein Viertel davon Frauen, an diesem Freitagmorgen gerade Kaffee und ein kleines Frühstück aus der Mensa. Die lockeren Gespräche auf dem Weg in den Sitzungsraum täuschen: Gleich geht es knallhart ums Business.

Exklusive Auftragsbindung
Das erklärte Ziel dieser Treffen ist die Gewinnung neuer Kunden sowie zusätzlicher Umsatz durch neue Kontakte und gegenseitige Geschäftsempfehlungen. Dieses Empfehlungsmarketing findet in einem exklusiven Rahmen mit gewolltem Monopolcharakter statt. Denn im regional organisierten, weltweit aktiven BNI sind in jedem Chapter zwar unterschiedliche Berufssparten abgebildet, aber jede Branche darf dort nur einmal vertreten sein. Wer trotzdem Mitglied werden will, muss sich auf eine Warteliste setzen lassen oder sich in einem anderen Chapter bewerben. Auf die kompetitive Atmosphäre nach amerikanischem Vorbild scheint man stolz zu sein. Geschäfte macht man unter sich, im eingeschworen anmutenden BNI-Bündnis.

Man ist fit fürs Business, oder lässt sich fit machen. «Jede Branche bindet hier exklusiv alle Aufträge», bestätigt Ole Bull, Director beim Chapter BNI Wasserschloss und Geschäftsführer von Bulls Coffee GmbH. Das Konzept wird als Unique Selling Proposition (USP) bezeichnet. «Im Marketing ist USP ein einzigartiges Nutzenversprechen, mit dem sich ein Produkt oder eine Dienstleistung gegenüber gleichartigen Angeboten der Mitbewerber abhebt», erklärt Bull. «USP wird auch mit einem Alleinstellungsmerkmal gleichgesetzt.» Diese Form von wirtschaftlicher Exklusivstellung kostet die BNI-Zugehörigen 1725 Franken jährlich. Dafür empfiehlt ein Mitglied das andere im täglichen Leben und Geschäften und kann sich auf Gegenleistung verlassen.

Unter den derzeit 41 Mitgliedern im Wasserschloss-Chapter, die auf der Website öffentlich ausgewiesen sind, befinden sich unter anderem ein Stadtrat, ein Bezirksrichter, dessen eine Tochter wiederum im Unternehmen des Stadtrats angestellt ist, ein Jurist und ein Notar. Auf die Frage, ob die Verflechtung von öffentlichem Amt und BNI-Mitgliedschaft nicht problematisch sei, winkt Bull ab: «Das BNI hat mit Politik nichts zu tun.» Seien BNI-Mitglieder für ihr eigenes und fürs Geschäft der BNI-Kollegen unterwegs, zähle für sie nur das, «und nicht, dass einer Stadtrat ist», meint der Leiter.

Erfolg durch Empfehlung
7.00 Uhr. Jetzt sind Konzentration und Präsenz gefragt. Jedes Mitglied stellt sich jede Woche neu vor und erzählt, was im Geschäft gerade aktuell ist. Man hat dafür 60 Sekunden. Bei Verhinderung muss man sich von jemandem aus dem eigenen Betrieb vertreten lassen. Eine strenge Anwesenheitspflicht. Der Chapter-Director fragt den Vermittlungserfolg der letzten Woche ab. «Erfolg durch Empfehlung – und genau wissen, was Roger macht, was Lars macht», erinnert Bull und ruft  dann in spontaner Reihenfolge jedes einzelne Mitglied zum Rapport auf: «Für BNI konnte ich letzte Woche leider nichts machen», lautet eine Antwort. «Ich habe nach Feierabend ein Chaptergespräch geführt», so eine andere. Oder: «Ich hatte ein Vieraugengespräch, nächste Woche habe ich einen Termin im Golfclub.» Vieraugengespräche scheinen am höchsten gewichtet zu werden. Davon seien letzte Woche 36 geführt worden, zeigt Bull in seiner Übersichtspräsentation zusammen mit weiteren Zahlen. «Wenn es im Kopf nicht stimmt, kann das Gesetz der Anziehung nicht greifen», lässt der Chapter-Director die Anwesenden am Ende der Abfragerunde wissen. «Wir sind das Netzwerk, ihr der Multiplikator», erbaut der Leiter die BNI-Crew.

Die sieben Kernwerte
Empfehlungen sind die Antriebsenergie in der Netzwerkorganisation. Sie werden dokumentiert und sind somit verbindlich. Was genau damit gemeint ist, hat BNI definiert: «Eine Empfehlung ist eine Gelegenheit, dein Unternehmen jemandem zu repräsentieren, der ein Produkt oder eine Dienstleistung deines Fachgebiets erwerben möchte und der auf deine Kontaktaufnahme vorbereitet ist», heisst es in einer der Präsentationen, die an diesem Freitagmorgen gezeigt werden. Empfehlungen bringen Geschäfte – und regional wie global gilt dabei der als eingetragene Marke geschützte Leitsatz «Wer gibt, gewinnt». Innerhalb von BNI sind um diesen Leitsatz sieben «Kernwerte» angesiedelt: Tradition und Innovation, lebenslanges Lernen, positive Einstellung, Beziehungsaufbau, Verantwortlichkeit, Anerkennung. Dr. Ivan Misner hat die Philosophie «Wer gibt, gewinnt» ins Leben gerufen: «Etwas zu geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, schafft Vertrauen und eine Basis für enge Beziehungen. Gleichzeitig erweckt es den Wunsch, sich dem Gegenüber erkenntlich zu zeigen», führt die Präsentation den Leitsatz aus, der klingt wie gelebte Nächstenliebe.

An der obersten Doktrin hängen weitere Sätze. Chapterleiter Ole Bull fragt nun die «Gedächtnisanker» ab. Erneut ruft er in der Runde zufällig Mitglieder auf und schnipst mit den Fingern, wenn die Antworten nicht flugs erfolgen. Gedächtnisanker müssen sitzen. Die möglichst pfiffig formulierten Sätze perfektionieren in Verkaufsgesprächen den Auftritt und sollen wie verbale Anker wirken, um das eigene Unternehmen von anderen abzuheben und die USP zu stärken.

Oscarverleihung
Nun gibts Kurzpräsentationen, die jede Woche von den Unternehmerin­-nen und Unternehmern zu einem der sieben Kernwerte gehalten werden, um sie zu verinnerlichen. In den heutigen Kurzvorträgen, die jeweils nur 40 Se­kunden dauern und mit Stoppuhr ­gemessen werden, geht es um Anerkennung. Die Vorträge müssen spannend, lustig und interessant sein. «Anerkennung ist für mich das Wichtigste, denn man muss seine Partner wertschätzen, um erfolgreich zusammenzuarbeiten», erklärt Bull in die Runde. Für den besten Vortrag wird wöchentlich ein kleiner Oscar verliehen (unter Applaus). Monatlich wird zudem die erfolgreichste Topnetzwerkerin oder der erfolgreichste Topnetzwerker ermittelt. Dabei wird genau aufgezeigt, wie viele Empfehlungen (diesmal: 12) durch wie viele Besuche (diesmal: 6) zu welchem Umsatz geführt haben (55 382 Franken). Die Mitgliedschaft bei BNI bietet nebst den Möglichkeiten zum Netzwerken und Geschäftsabschlüssen mit Hunderten von BNI-Mitgliedern in der Region und Hunderttausenden auf der ganzen Welt auch Zugang zu diversen Businesstrainings und Chapter-eigenen Workshops, mit denen man sein Unternehmen fitter machen kann.

Ole Bull ist als Area Director für Aarau und Basel teilzeit bei BNI angestellt. In dieser Funktion sei er dafür verantwortlich, die Unternehmer in den jeweiligen Regionen zu unterstützen und untereinander besser zu vernetzen. «Ich habe einen tollen Austausch mit 250 Unternehmen aus Basel und dem Aargau plus 70 weiteren Standorten», sagt Bull, der als Chapter Director bei BNI Wasserschloss für ein Jahr gewählt. Das Wasserschloss-Chapter ist derzeit das sechstgrösste der Schweiz – vor wenigen Wochen noch war es das achtgrösste. «Unser Ziel ist es, bis Ende Jahr auf die stattliche Anzahl von 50 Unternehmen in der Region Brugg zu kommen», verkündet der eifrige BNI-Leiter.

Umsatz in Millionenhöhe
Weltweit sind in über 77 Ländern mehr als 300 000 Mitglieder in 10 940 Chapters aktiv und generieren einen Umsatz von 19,1 Milliarden Euro. In der Schweiz wurde das Netzwerk mit Hauptsitz in Lyon 2005 gegründet und zählt heute 2492 Mitglieder. Die 60 609 Geschäftsempfehlungen erwirkten in den letzten zwölf Monaten einen Umsatz von 312 723 494 Franken (Quelle: BNI Schweiz, Zahlen vom 31.8.2023). Das BNI Wasserschloss verzeichnet seit der Gründung am 22. Januar 2021 einen Umsatz von 10 263 610 Franken durch 1383 Empfehlungen. Der Wert einer einzigen Empfehlung liegt dabei gemäss BNI bei stolzen 7421 Franken. Am heutigen BNI-Wasserschloss-Treffen wird ein Wochenumsatz von 20 928 Franken verdankt. Verlängerungen bestehender und Aufnahmen neuer Mitglieder werden dabei regelmässig von einem BNI-Mitgliederausschuss geprüft und an den wöchentlichen Meetings bekannt gegeben. Neumitglieder werden von einem Mentor betreut.

Nicht allen passt das BNI-Konzept. Ausgetretene kritisieren die hohen Mitgliederkosten, den missionarischen Drill, den Druck, den beinahe sektiererischen Charakter der Organisation.   Gesucht ist also ein Experte, der beantworten kann, ob wirtschaftliche Organisationen sektiererische Tendenzen entwickeln können. Auf Anfrage verweist die Universität Zürich auf Georg Schmid, Leiter der Informationsstelle Relinfo. «Organisationen können durchaus ähnliche Strukturen haben, wie das, was populär als Sekte bezeichnet wird», sagt Schmid. «Sekten sind aber weltanschauliche Gemeinschaften, was wirtschaftliche Netzwerke in aller Regel nicht sind», erklärt er. Öfter mit Sekten verglichen würden Firmen, die Network-Marketing betreiben und die Verkaufenden stark einspannen. Dazu gehört BNI seiner Einschätzung nach nicht. «Aber Strukturen zur gegenseitigen Unterstützung geraten gern in Verdacht, geheimbündlerisch und problematisch zu sein», kontrastiert Schmid. Mit anderen wirtschaftlichen Organisationen wie Club of Rome oder Rotary sei das BNI allerdings nicht zu vergleichen. «Rotary funktioniert völlig anders, weil es dort um Austausch und um Unterstützung von sozialen Projekten geht», ordnet der Fachmann ein.

Director Bull findet nicht, dass auf die Mitglieder Druck ausgeübt wird:  «Liefern muss man ja nicht, aber es ist doch schön, sich auszutauschen und zuverlässig davon ausgehen zu können, dass man jede Woche Empfehlungen bekommt.» Diese gingen nämlich mit einer 82-prozentigen Garantie einher, dass man den Auftrag erhalte, erklärt Bull nochmals das BNI-Erfolgs-rezept. «Ihr habt euch richtig entschieden, heute hier gewesen zu sein», gibt der Leiter nach dem anderthalbstün­digen Meeting mit auf den Weg.