Attraktive Gäste im Auengebiet

Vor Kurzem hielten sich zwei attraktive Vertreter der Reiherfamilie in der Region Brugg auf: ein Nachtreiher und mehrere Seidenreiher.
Der Seidenreiher ist ein eher seltener Anblick am Limmatspitz. (Bild: BHE)

Vogelbeobachtung mit Fernrohr an der Alten Aare bei der Badi Brugg. Viele Spaziergänger gehen vorbei, ­einige möchten wissen, was es Spannendes zu beobachten gibt. Ein Blick durchs Fernrohr löst Verwunderung aus: «So einen Vogel habe ich noch nie gesehen.» Oder: «Den hätte ich selbst nicht entdeckt.» Tatsächlich ist der junge Nachtreiher, der auf der gegenüberliegenden Flussseite bockstill auf einem dürren Ast steht, gut getarnt und ohne Fernglas kaum zu ­ent­decken. Meistens fallen an diesem Ort verschiedene Entenarten, Bläss­hühner und die grossen Graureiher auf. Warum ist denn jetzt ein junger Nachtreiher hier?

Jungvögel auf Wanderschaft
Nachtreiher brüten praktisch in all unseren Nachbarländern, aber nicht in der Schweiz. Sobald die Jungvögel flugfähig sind, wandern beziehungsweise fliegen sie in Europa umher – manchmal in Begleitung von ausgewachsenen Tieren, manchmal allein. Ab Juli lassen sich diese Vögel auch in der Schweiz an Orten nieder, wo sie genügend Nahrung finden, meistens an Fluss- und Seeufern oder in anderen Feuchtgebieten. Dabei kommt es vor, dass einige während längerer Zeit am gleichen Ort bleiben, wie der junge Nachtreiher bei der Badi Brugg. Er wurde erstmals am 23. Juli gesichtet und blieb bis zum 30. August. In dieser Zeit hat er eine Menge Frösche, kleine Fische und Wasserinsekten gejagt und gefressen und sich für den Weiterflug in den Süden fit gemacht. Ab September zieht die Nachtreiherpopulation nämlich weiter in ihre Überwinterungsgebiete südlich der Sahara. Viele Vögel verbringen den Winter auch rund ums Mittelmeer.

Der junge Nachtreiher dieses Jahres ist übrigens nicht die erste Beobachtung in der Region Brugg. Schon in früheren Jahren liessen sich immer wieder einzelne Vögel beobachten. Weit häufiger ist das jedoch in den grösseren Rastgebieten für Wasser­vögel der Fall, zum Beispiel am Klingnauer Stausee, am Flachsee, am Wauwilermoos, im Kaltbrunnerried oder am Südufer des Neuenburgersees.

Junger Nachtreiher lauert an der Alten Aare bewegungslos auf Beute. (Bild: BHE)

Noch eine Reiherart fiel in diesem Sommer in der Region auf. Am Limmatspitz bei Lauffohr sind seit dem 31. Juli mindestens zwei Seidenreiher anwesend. Zwischenzeitlich waren bis zu zehn der reinweissen Reiher mit dem schwarzen Schnabel und den auffälligen gelben Füssen zu beobachten. Seine Schönheit wurde dem Seiden­reiher im 19. Jahrhundert fast zum Verhängnis. Die dekorativen Schmuck­federn waren bei den damaligen Modeschöpfern äusserst beliebt, und sie wurden zu extravaganten Hüten verarbeitet. Der Seidenreiher wurde gnadenlos bejagt. Diese Zeiten sind glücklicherweise längst vorbei, und ab 1910 erholten sich die Bestände langsam. Seither verzeichnet der zierliche Reiher eine deutliche Zunahme, und er konnte seine Brutgebiete in Europa nordwärts ausweiten. Inzwischen gibt es grosse Brutpopulationen in Frankreich, sogar unmittelbar vor den Toren der Schweiz – im Elsass. Den «Grenzübertritt» hat er jedoch noch nicht geschafft. Ähnlich wie der Nachtreiher tritt er jedoch auf dem Herbstzug, der schon im Juli beginnt, in jährlich schwankenden Zahlen in der Schweiz auf. Diesen Sommer war er vielerorts recht häufig zu sehen.

Der Tänzer im Wasser
Besonders spannend ist es, den Seidenreiher beim Jagen zu beobachten. Er hat ein ähnliches Nahrungsspektrum wie der Nachtreiher. Beim Beutefang hat er zwei Strategien: Lauern oder Rennen. Im seichten Wasser und in Sumpfwiesen lauert er auf seine Opfer, angespannt wie eine Feder. Minutenlang verharrt er komplett regungslos mit vorgebeugtem Kopf – ähnlich wie der Nachtreiher. Sobald das Beutetier in Reichweite ist, schiesst er mit seinem dolchartigen Schnabel vor und packt zu. Die zweite Art des Jagens regt beim Beobachter die Lachmuskeln an. Der Seidenreiher scheucht seine Beute mit vibrierenden Fussbewegungen auf oder läuft mit erhobenen Flügeln aufgeregt hin und her oder im Kreis durch das seichte Wasser, womit er ebenfalls die Fische aufscheucht. Es ist ein herrliches Schauspiel, ihm bei solchen Szenen zuzusehen.

Die Vogelwarte rechnet damit, dass diese beiden und weitere Reiherarten in den nächsten Jahren ebenfalls in der Schweiz brüten. Voraussetzung dafür sind ungestörte Feuchtgebiete in genügender Ausdehnung – so wie sie die laufende kantonale ­Gewässerinitiative fordert.