Weiterdenken mit Gendermedizin

30 wissbegierige Frauen trafen sich zur Impulstagung, die der Verein Femmes Sapiens in der zweiten Ausgabe organisiert hat.
Angeregt von «Wir sprechen an», tauschen sich die Teilnehmerinnen zum Thema sexualisierte Gewalt aus. (Bild: zVg | Susanne Seiler)

Die positive Stimmung im Raum war am letzten Samstagmorgen im ersten Stock des Kulturhauses Odeon spürbar. 30 Frauen fanden sich dort zur zweiten Impulstagung des Vereins Femmes Sapiens zusammen. Mit Blick über den Bahnhof Brugg herrschte fröhlicher Trubel: Bei herzlichen Begrüssungen wurden Cappuccinos getrunken und wurde in Teetassen gerührt.

Das Thema der Tagung war nicht zufällig gewählt: Frauengesundheit polarisiert mehr denn je, basieren doch medizinische Erkenntnisse bisher vorwiegend auf den Körperwerten eines Durchschnittmannes. Gendermedizin soll das ändern: Der Ansatz konzentriert sich auf die geschlechtsspezifische Erforschung und Behandlung von Krankheiten, was besonders für Frauen neue Resultate bereithält.

Erste Schweizer Medizinerin
Schon früh bewegte die Thematik zudem die Region Brugg: Marie Heim-Vögtlin aus Bözen schloss 1872 als erste Schweizerin überhaupt das Medizinstudium ab und legte als Frauenärztin einen wichtigen Grundstein für die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet. Mehr als 150 Jahre später lauschen 30 Frauen gebannt dem Vortrag der Berner Apothekerin und Podcasterin Priska Christen. Sie erzählt von Kindern, die bekanntlich nicht «auf der Gemüseseite des Lebens» stünden, und bringt ihre Hörerinnen damit zum Lachen, rüttelt auf, indem sie erklärt, dass es nur vier Tierarten gebe, bei denen das Weibchen nach ihren fruchtbaren Jahren noch weiterlebe, und klärt auf, dass die durchschnittliche Frau in ihrem Leben 400 Menstruationszyklen durchlebe. In ihrem Vortrag verweist sie immer wieder auf Folgen ihres Podcasts «Villa Margarita». Etwa «Mamma Maria», in dem sich alles um die Geburt dreht.

Während der Pausen tauschte man sich angeregt aus oder stöberte am Büchertisch. Paula Sommer hat schon einige dieser Bücher gelesen. Die 17-Jährige gehört dem «feministischen Streikkollektiv» an und möchte mit ihrem Besuch an der Tagung von Femmes Sapiens eine Brücke zwischen den beiden Organisationen schlagen. Sie fällt mit ihrem Kapuzenpulli zwischen den vielen bunten Blusen auf. Die anderen Teilnehmerinnen sind älter als Paula Sommer. Aber das stört nicht: «Unsere Zielgruppe sind Frauen jeglichen Alters», erklärt Vorstandsmitglied Alexandra Dahinden.

Zum Zmittag gibt es Gemüsesuppe und Brot. Danach geht es weiter: Das junge «Wir sprechen an»-Kollektiv motiviert die Gruppe, miteinander in den Dialog zu treten. Das Kollektiv steht für eine freie Sexualität mit entsprechendem Respekt ein und möchte den Erfahrungsaustausch zwischen Frauen verschiedener Generationen fördern.

Astrid Baldinger von Femmes Sapiens ist begeistert vom gelungenen Tag. Ihr Highlight ist das Referat von Claudia Brett. Als Expertin für Menopause und Gesundheitsförderung teilte sie ihre Erfahrungen aus England, wo grosse Unternehmen ein Bewusstseinskonzept für die Wechseljahre umsetzen. Denn: Über eine Million Frauen im Alter ab 40 Jahren scheiden aus dem Berufsleben aus oder orientieren sich neu, weil die Wechseljahrbeschwerden nicht mit den beruflichen Anforderungen vereinbar sind. Es gibt noch viel zu tun, auch in der Schweiz. Viele engagierte Frauen tragen bereits aktiv zum Wandel bei. Die Teilnehmerinnen an der Impulstagung traten ihre Heimreise mit vielen neu gewonnenen Erkenntnissen an. Einige blieben noch für den Überraschungsfilm «Feminism. WTF», der seine offizielle Premiere erst am Zürich Filmfestival feiern wird. «Der Film ist eine Wucht! Ein Muss für jede Frau und jeden Mann», äusserte sich Astrid Baldinger nach der Filmaufführung begeistert.