Schaut man sich die Gefahrenkarte und die Hochwasser-Risikoeinschätzung des Kantons an, erschrickt man als Wettingerin, als Wettinger. Für die Gemeinde bestehen bei einem Jahrhunderthochwasser höchste Risiken, mit schweren Schäden konfrontiert zu werden. Starkregenfälle am Lägernhang können zur Ansammlung von grossen Wassermengen führen, die sich im Eigital bündeln und via Dorfbach konzentriert auf das Siedlungsgebiet treffen. Das zu verhindern, Hochwasserschutz zu betreiben, dazu ist der Bund gesetzlich angehalten. Dieser wiederum nimmt die Kantone in Pflicht, da sie Eigentümerinnen der Gewässer sind. Planung und Ausführung der Massnahmen überlässt der Aargau seinen Gemeinden – überprüft aber deren Zweckmässigkeit und die Einhaltung kantonaler Vorgaben.
Seit bald zehn Jahren ein Thema
Für den Gemeinderat und insbesondere die Ressortleiterin Tiefbau und Umwelt, Kirsten Ernst, ist Hochwasserschutz ein Thema, dem hohe Priorität zukommt. Bereits nach der Veröffentlichung der kantonalen Gefahrenkarte wurden erste Studien an die Hand genommen, die 2017 zu einem vom Einwohnerrat genehmigten Projektierungskredit von 545 000 Franken führten. Und seither «Funkstille»? «Nein, wir waren am Arbeiten», sagt Jlko Müller, Leiter Bau und Planung, der Gemeinde Wettingen. «Wir haben es hier mit einem der grössten Bauprojekte in der Geschichte Wettingens zu tun» – was sich auch im vom Einwohnerrat beantragten Bruttokredit widerspiegelt: 27,6 Millionen Franken. Dazu Kirsten Ernst: «In diesem Betrag sind die Kosten für den Hochwasserschutz, die Revitalisierung des Dorfbachs beziehungsweise des Gottesgrabens ebenso enthalten wie 2 Millionen Franken für Landkäufe, Geld für Kanalisationsleitungen und die Erneuerung der öffentlichen Beleuchtung.»
Die gute Nachricht für die Wettinger Finanzen: Netto muss die Einwohnergemeinde für 9,94 Millionen Franken aufkommen. Bund, Kanton, ein Fonds der Limmatkraftwerk-Betreiberin EWZ und die Aargauische Gebäudeversicherung (AGV) beteiligen sich mit 17,7 Millionen Franken. Was wird mit diesem Geld realisiert? Beginnen wir beim Hochwasserschutz. Dieser ist in der Bauphase spektakulär, später aber als Entlastungskanal (er führt das Zuviel an Wasser direkt der Limmat zu) tief unter dem Boden – vornehmlich in der Alberich-Zwyssig-Strasse. Gebaut werden soll «bergmännisch» im Pressvortrieb. Bei diesem werden via Gruben alle paar 100 Meter Rohre in 8 bis 15 Metern Tiefe abgesenkt und dann unter der Strasse hindurch getrieben.
Renaturierung des Dorfbachs
Der Hochwasserschutz ermöglicht anschliessend die Revitalisierung des Bachs samt Siedlungsaufwertungen. Im Abschnitt St.-Bernhard-Strasse und Rosengartenstrasse wird die heutige Betonrinne einem natürlichen Fliessgewässer weichen. An anderen Stellen soll der Dorfbach streckenweise zurück ans Licht geholt werden – so auf dem Lindenplatz. Keine Renaturierung ist ab der Altenburgstrasse nötig. Hier wurden entsprechende Massnahmen bereits in den 1990er-Jahren getroffen. Genehmigt der Einwohnerrat den Kredit, wird es im Juni 2024 zu einer obligatorischen Volksabstimmung kommen. Sind beide Hürden genommen, dürften die Bauarbeiten in Etappen von 2026 bis 2032 dauern. «Wir haben es nicht nur punkto Finanzen, sondern auch beim Bauen mit einem Generationenprojekt zu tun», stellt Kirsten Ernst fest.
Eine andere Frage zum Schluss. Weshalb heisst das von der Quelle bis zur Mündung 5,5 Kilometer lange Gewässer sowohl Dorfbach als auch Gottesgraben? Ursprünglich floss der Dorfbach beim Landvogteischloss in die Limmat – bis ihn das Kloster Wettingen im 16. Jahrhundert umleitete (Gottesgraben). Laut einer Schrift des Wettinger Landschaftsarchitekten Peter Paul Stöckli von 1984 lieferte der Bach dem Kloster Trink-, Gebrauchs- und Löschwasser. Ein verzweigtes Grabensystem bewässerte zudem das Wettinger Feld.