Am Sonntag trafen sich Grossratspräsident Lukas Pfisterer, die Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, Rita Famos, und Stadtammann Markus Schneider im reformierten Kirchgemeindehaus in Baden, um über die Verfassung und die Rolle von Religion in unserer Gesellschaft heute und in Zukunft zu debattieren. Moderiert wurde das Gespräch von Res Peter vom Pfarramt der Stadt Baden. Den Weg zum «Theo-Talk» am Sonntagvormittag fanden etwa 60 Interessierte, wovon die meisten bereits dem vorgängigen Gottesdienst beigewohnt hatten.
Gott wird in der Schweizer Bundesverfassung nur einmal erwähnt, das allerdings gleich zu Beginn der Präambel, wonach sich das Schweizer Volk und die Kantone «im Namen Gottes des Allmächtigen» die nachfolgende Verfassung geben. Gegenwärtig spielt Gott für dieses weltliche Dokument also fraglos eine Rolle. Und wenn es nach den Diskussionsteilnehmenden geht, soll sich daran auch nichts ändern. «Ich bin sehr froh darüber, dass jene Menschen, die in diesem Land – legitimiert durch das Volk – Macht ausüben, dadurch daran erinnert werden, dass diese Macht mit Verantwortung einhergeht. Ich finde, Gott darf und muss sogar dort stehen, weil dadurch unsere weltliche Macht relativiert wird», findet Rita Famos.
Dass der Verweis auf Gott selbst heute noch in die Bundesverfassung passt, findet ebenfalls Lukas Pfisterer, weil insbesondere die christliche Religion hierzulande seit Jahrhunderten einen wesentlichen Bestandteil unserer Gesellschaft ausmache. Als Jurist sei ihm aber sehr bewusst, dass die Verfassung bis auf das letzte Wort geändert werden könne und deshalb wohl dereinst das Stimmvolk über die Rolle Gottes in der Bundesverfassung befinden werde.
Entscheidender als die Diskussion über die Erwähnung Gottes in der Bundesverfassung ist allerdings die Frage, welche Rolle Religion in der Gesellschaft heute spielt und welche gesellschaftliche Bedeutung sie künftig in der Schweiz haben soll. «Im politischen Leben im Kanton halten sich die Berührungspunkte zur Religion sehr in Grenzen», hält Lukas Pfisterer fest. «Natürlich stehen wir im Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern der Landeskirchen, doch das bewegt sich im normalen Rahmen.» Die seit Jahren rückläufigen Mitgliederzahlen der Landeskirchen sieht Rita Famos verständlicherweise mit Sorge: «Ich glaube, dass jene Hälfte unserer Gesellschaft, die keiner Religionsgemeinschaft zugehört, manchmal vergisst, was Religion für die andere Hälfte der Gesellschaft, die sich noch mit einer Religion identifiziert, tatsächlich bedeutet.»
Reformation von unten
Obwohl es sich beim «Theo-Talk Baden» um eine Veranstaltung der reformierten Kirche handelte, die davon nur am Rande betroffen war, kam das Gespräch auch auf den Missbrauchsskandal der katholischen Kirche. Die Haltung der Diskussionsteilnehmenden dazu war klar: Es sei richtig und höchste Zeit, dass dem Thema in der Schweiz die gebührende Aufmerksamkeit zuteilwerde. «Allerdings sind die Vorgänge grundsätzlich schon lang bekannt», gab Lukas Pfisterer zu bedenken. Ob und welche Massnahmen ergriffen werden, um Missbrauchsfällen effektiv vorzubeugen, bleibt also abzuwarten.
Welche Rolle Religion in unserer Gesellschaft künftig spielen soll und wird, konnte an diesem Sonntagvormittag nicht abschliessend geklärt werden. Dass Religion aber auch in Zukunft von Bedeutung sein wird, darüber waren sich die Podiumsteilnehmenden einig. «Aus meiner Sicht muss Religion einfach offen und breit zugänglich sein», findet Markus Schneider. «Denn ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Mensch an irgendetwas glaubt.»